Das Legal Tech Gesetz ist buchstäblich in letzter Minute über die Ziellinie gekommen – am 10. Juni hat es der Bundestag in zweiter und dritter Lesung beschlossen, nach einer turbulenten Sachverständigenanhörung, in welcher der Legal Tech Verband mit Philipp Plog vertreten war, und das alles in einer der letzten Sitzungen der Legislaturperiode. Legal Tech ist damit in der Gesetzgebung angekommen, und bekommt mehr Rechtssicherheit!

Der Legal Tech Verband hat das Reformvorhaben von Anfang an unterstützt. Wir haben in unserer Stellungnahme zum Referentenentwurf vom 7. Dezember 2020 noch sehr viel weiter reichende Maßnahmen zur Öffnung des Rechtsmarktes gefordert. Aber wir sind der Auffassung, dass sich auch im aktuellen Reformpaket ein paar gute und mutige Fortschritte für den deutschen Rechtsmarkt finden, die es jetzt umzusetzen gilt – und die in weiteren Reformen entwickelt werden können.

RECHTSSICHERHEIT FÜR LEGAL TECH IM „INKASSO-MODELL“ 

Die Reform bringt die eine dringende Verbesserung der Rechtssicherheit für Legal Tech Angebote, die als Inkassodienstleister operieren. Einige Instanzgerichte (München, Augsburg, Ingolstadt, Hannover) hatten zuletzt im LKW-Kartell, bei Diesel-Klagen und in anderen Auseinandersetzungen myright, financialright, und Cartel Damage Claims unter Hinweis auf eine angeblich „nicht inkassotypische“ Vorgehensweise das Recht zur Vertretung von Geschädigten verweigert. Damit standen Tausende von Geschädigten vor dem Nichts, obwohl sie Forderungen auf registrierte und zugelassene Anbieter übertragen haben, die anwaltlich vertreten sind. Der Gesetzentwurf stellt jetzt endlich klar, dass Ansprüche gebündelt und finanziert werden dürfen, und dass diese Geschäftsmodelle nicht von vornherein auf außergerichtliche Durchsetzung von Forderungen beschränkt sind. Außerdem ist in der neuen Fassung des Referentenentwurfs geregelt, dass die Justiz-Aufsicht die Geschäftsmodelle der Anbieter vorab prüft, und dieser Prüfung eine „Tatbestandswirkung“ im späteren Zivilprozess um die Forderungsdurchsetzung zukommen kann.

Leider wurde in dieser Runde versäumt, Verbraucher und Unternehmer besser vor gerichtlichen Auseinandersetzungen, um die Legal Tech Inkasso Geschäftsmodelle zu schützen. Ihre Forderungen können zum Beispiel verjährt sein, wenn ein Zivilgericht im Verlauf des Instanzenzugs zur Einschätzung gelangt, das Geschäftsmodell sei angreifbar. Das hat dramatische Folgen für die Geschädigten: Scheitert im Nachhinein die Abtretung ihrer Ansprüche, so droht wegen Verjährung der wirtschaftliche Totalverlust für die betroffenen Verbraucher und Unternehmen. Damit wird eine Schutzvorschrift für Verbraucher und Rechtsuchende – die Regelung zur Interessenkollision in § 4 RDG – in eine Schutzvorschrift für Kartellanten und andere Rechtsverletzer umgedeutet. Das kann nicht richtig sein. Die Nichtigkeit ist aber auch unnötig, weil man die Auswirkungen etwaiger Defizite der Geschäftsmodelle auf die Vergütung der Anbieter von Rechtsdienstleistungen beschränken kann.

EIN BISSCHEN MEHR FREIHEIT FÜR ANWÄLTE 

Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Einführung von Erfolgshonoraren für Anwälte. Sie bekommen die Möglichkeit,, Erfolgshonorare bis 2000 Euro Streitwert bei gerichtlichen Verfahren anzubieten (und unbegrenzt im außergerichtlichen Bereich). Das ist ein erster Schritt, um den Anwälten in Deutschland mehr Gestaltungsfreiheit zu verschaffen. Denn oft stehen die starren gesetzlichen Vergütungsregeln nicht in einem vernünftigen Verhältnis zu den Kostenrisiken der Mandanten und zu den Chancen einer flexibleren Risikoverteilung im Mandat. Deshalb begrüßt der Verband die Einführung von Erfolgshonoraren, auch wenn wir ausdrücklich gefordert hatten, sie nicht nach dem Streitwert oder sonstwie zu begrenzen.

Denn zuletzt gab es eine Schieflage bei den unternehmerischen Gestaltungsmöglichkeiten im Markt der deutschen Rechtsdienstleistungen. Spätestens seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs zu wenigermiete.de vom November 2019 (Urteil v. 27.11., Az. VIII ZR 285/18) steht fest, dass Legal Tech-Anbieter, die als Inkassodienstleister operieren und unmittelbar mit Anwaltskanzleien konkurrieren, keinen Beschränkungen mit Blick auf Vergütungsmodelle (Erfolgshonorar, Provisionen, Prozessfinanzierung) und die Aufnahme von Fremdkapital unterliegen. Sie operieren häufig im selben Markt wie Anwälte (Mietpreisbremse, Kündigungsschutz, Kartellschadensersatz, Flugverspätungen, Verkehrsunfallabwicklung, Hartz IV Widersprüche, etc.), haben jedoch völlig andere wirtschaftliche Voraussetzungen. Mandanten, die nicht über eine Rechtsschutzversicherung verfügen, haben zur Zeit keine Möglichkeit, ein anwaltliches Angebot in Anspruch zu nehmen, ohne dabei ein wirtschaftliches Risiko einzugehen (keine „no win, no fee“-Angebote).

Das ist nun geändert worden, aber nur sehr halbherzig. Die Anwälte bekommen zwar die Möglichkeit, bei sehr kleinen Streitwerten im gerichtlichen Verfahren Erfolgshonorare anzubieten (und außergerichtlich unbeschränkt). Aber sie dürfen den Mandanten keine Kostenrisiken abnehmen (zum Beispiel Gerichtskosten und Kosten für die Anwälte des Gegners im Falle einer Niederlage vor Gericht). Das hat haben die Parlamentarier der Koalition in letzter Minute kassiert. Damit stehen die Anwälte am Ende doch schlechter als die Inkassodienstleister da, denn nur sie können den Mandanten auch die finanziellen Risiken einer Niederlage zum Beispiel bei Mietpreisbremse, Diesel-Schadenersatz oder Kündigungsschutz abnehmen. Das ist die Sollbruchstelle dieses neuen Gesetzes auch mit Blick auf EU-Recht, denn das fordert im Gegenteil gleiche Wettbewerbsbedingungen, wo aus Sicht der Abnehmer vergleichbare Leistungen erbracht werden (“Kohärenz”). Die Anwälte haben hier nur einen sehr kleinen Schritt nach Vorn gemacht, und das auch noch gegen hartes Lobbying ausgerechnet von der Bundesrechtsanwaltskammer und des Deutschen Anwaltsvereins. Konkurrenzfähig werden die Anwälte damit noch nicht. Aber immerhin ist ein Paradigmenwechsel eingeleitet, denn der Gesetzgeber hat mit dem Erfolgshonorar erstmals die Möglichkeit geschaffen, dass Anwälte mit Mandanten Risiken teilen.

ES IST NOCH VIEL ZU TUN

Es gibt einige Themen, die der Gesetzgeber zwar erkannt, aber nicht mehr in den Griff bekommen hat, und die nun leider (nur) in einer Entschließung des Bundestages angerissen werden, als Zukunftsprojekte. Dazu gehört vor Allem die dringend erforderliche Zentralisierung der Aufsicht über Legal Tech Modelle, die bisher mehr oder weniger zufällig von den Landesjustizbehörden ausgeübt wird.

Das Gesetz hat aber auch keine Antwort für neue Anbieter auf dem Rechtsdienstleistungsmarkt, die nichts mit „Inkasso“, also der Durchsetzung von Geldforderungen, zu tun haben. Zum Beispiel Anbieter von Vermittlungsplattformen für Rechtsdienstleistungen wie advocado oder Betreiber von „Selbstbedienungsangeboten“ und Vertragsgeneratoren (zum Beispiel Smartlaw). Doch auch sie brauchen einen verlässlichen Rechtsrahmen. Sie bedienen ein gesellschaftliches Bedürfnis nach niedrigschwelligen und kostengünstigen Angeboten, die den Zugang zum Recht erleichtern. Es braucht einen neuen RDG-Erlaubnistatbestand “außergerichtliche Rechtsberatung”, der Rechtsdienstleistungen in sämtlichen Gebieten regelt, soweit diese nicht Anwälten vorbehalten sind. Und nicht nur die Lücken flickt, die mit der völlig überstrapazierten Rechtsfigur des Inkassodienstleiters entstanden sind, die bisher für alles herhalten muss, wo nicht „Anwaltskanzlei“ draufsteht.

Deshalb werden wir auch in den kommenden Jahren über Gesetzgebung und Fortschritt  im Rechtsmarkt sprechen!