Der Legal Tech Verband Deutschland setzt sich für die Gestaltung eines fortschrittlichen und innovationsfreundlichen regulatorischen Umfelds ein, das Rechtssicherheit für Legal Tech Unternehmungen innerhalb und außerhalb von Rechtsanwaltskanzleien schafft.

Deutschland hat eine spannende und dynamische Legal Tech Szene. Sie hat neuartige, innovative Rechtsdienstleistungen hervorgebracht. Auch Kanzleien setzen seit einiger Zeit verstärkt auf den Einsatz von Technologie (z.B. bei der Abwicklung massenhafter gerichtlicher Verfahren, der Effizienzsteigerung in Sozietäten, der Bewältigung redundanter Rechtsfragen und der Entwicklung von innovativen Beratungsprodukten für Mandanten).

Vor diesem Hintergrund begrüßt der Verband die jüngsten gesetzgeberischen Aktivitäten auf diesem Gebiet, insbesondere das Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote (Bundesgesetzblatt 2021, S. 3415) sowie die jüngsten Reformen auf dem Gebiet des anwaltlichen Gesellschaftsrechts (Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe, Bundesgesetzblatt 2021, S. 2363).

Allerdings sind noch wichtige Aspekte offen: In den Anwaltskanzleien besteht zu wenig rechtliche Bewegungsfreiheit, um große technologische Investitionen zu stemmen und bestimmte Vergütungsmodelle überhaupt anbieten zu können, die nichtanwaltliche Strukturen inzwischen rechtssicher anbieten dürfen. Und bei den Inkassodienstleistern bedarf es einer zentralen Aufsichtsbehörde.

2.          Regulierung der Rechtsanwälte 

2.1.     Vergütungsmodelle

Innovative Geschäftsmodelle zur Durchsetzung von Geldforderungen sind häufig so ausgestaltet, dass Mandanten für die Inanspruchnahme der Dienstleistungen keine fixe Vergütung zahlen, sondern lediglich eine Erfolgsbeteiligung gewähren. Bleibt der Inkassodienstleiter erfolglos, so nimmt er dem Mandanten häufig das volle Kostenrisiko ab. Dies dürfte ein wesentlicher Erfolgsfaktor sein, weil es das Geschäftsmodell für Verbraucher sehr niedrigschwellig macht. Zwar dürfen Anwälte seit 2021 Erfolgshonorare anbieten, bei gerichtlichen Verfahren bis zu einer Streitwertgrenze von 2.000 Euro und außergerichtlich unbeschränkt.

Die Öffnung ist aber zu zaghaft, und sie ist auch nicht konsequent. Wir sind der Auffassung, dass Anwälte bei Erfolgshonoraren und Prozessfinanzierung nicht anders als Inkassodienstleister behandelt werden dürfen. Denn die BRAO erschwert Rechtsanwälten mit der Streitwertgrenze den Zugang zu attraktiven Mandaten. Ausserdem dürfen Anwälte – anders als Inkassodienstleister – ihren Mandanten keine anderen Risiken als die Kosten für das eigene Honorar abnehmen, obwohl gerade die umfassende Prozessfinanzierung (einschließlich Gerichtskosten und gegnerischen Anwaltskosten etc.) aus Sicht der Mandanten so attraktiv ist. Mandanten, die nicht über eine Rechtsschutzversicherung verfügen, haben deshalb im Moment keine Möglichkeit, ein anwaltliches Angebot in Anspruch zu nehmen, ohne dabei ein wirtschaftliches Risiko einzugehen (keine „no win, no fee“-Angebote).

Anwälte brauchen außerdem mehr Rechtssicherheit, wenn sie Dienstleister für Marketing, Mandantenkommunikation und Mandatsabwicklung in Anspruch nehmen. Solche Angebote helfen Anwälten, weil sie sich auf ihre Kernexpertise konzentrieren und sich der Infrastruktur und des Knowhows anderer Unternehmen bedienen können (wie es Inkassodienstleister selbstverständlich tun). In einigen Fällen geht mit diesen Leistungen auch die Kontaktanbahnung mit potentiellen Mandanten einher, etwa bei Marketing-Kampagnen, Suchmaschinenoptimierung und -marketing (SEO und SEM). Auf diese Weise wird Kanzleien die Mandatsakquise über das Internet ermöglicht. Es handelt sich hier nicht um eine Mandatsvermittlung, weil lediglich Nutzerkontakte vermittelt werden und Gegenstand der Vergütung nicht die Vermittlung eines Mandats ist (OLG München, Endurteil vom 13.10.2021 – 7 U 5998/20, Rn. 33 f.; vgl. zur Zulässigkeit gebündelter Leistungspakete für Anwälte und Ärzte auch BVerfG e-Bay, Beschluss vom 19.02.2008 –1 BvR 1886/06 = NJW 2008, 1298; und BVerfG, Beschluss vom 08.12.2010 – 1 BvR 1287/08 – NJW 2011, 665 [667]). Der Gesetzgeber sollte klarstellen, dass solche Leistungen im Vorfeld des eigentlichen Mandatserwerbs nicht unter das Provisionsverbot fallen (§ 49 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 BRAO) und mit § 27 BORA in Einklang stehen.

2.2.     Beteiligung von Investoren 

Ein zentraler Erfolgsfaktor für innovative Geschäftsmodelle ist die Aufnahme von Kapital, um Investitionen zu stemmen („Fremdbesitz“). Diese Möglichkeit wird von nicht-anwaltlichen Akteuren im Rechtsmarkt selbstverständlich in Anspruch genommen. Es ist Anwälten jedoch auch nach der BRAO-Reform nicht erlaubt, Dritte als Gesellschafter aufzunehmen. Der Gesetzgeber hat trotz einiger Öffnungen am Modell der Berufsausübungsgesellschaft festgehalten.

Allerdings hat die Ampel-Koalition mit dem Koalitionsvertrag vom 24. November 2021 deutlich gemacht, dass sie über dieses Modell hinausgehen möchte. Sie hat sich nicht nur die Förderung und „Erweiterung des Rechtsrahmens für Legal Tech-Unternehmen“ vorgenommen, sondern vor Allem auch die „Stärkung“ der Rechtsanwaltschaft, indem sie „das Verbot von Erfolgshonoraren modifizieren und das Fremdbesitzverbot prüfen [will]“ (Seite 111 des Koalitionsvertrages).

Das ist sinnvoll, denn Investoren werden sich nicht darauf einlassen, in Gesellschaften zu investieren, deren unternehmerische Ausrichtung sie nicht mitgestalten können. Unter den Bedingungen des aktuellen Berufsrechts der Anwälte werden innovative Rechtsdienstleistungsangebote in erster Line außerhalb von Rechtsanwaltskanzleien entwickelt werden, und es werden Rechtsanwälten große Teile der Wertschöpfung vorenthalten oder verloren gehen. Dies gilt umso mehr auf dem Gebiet der Inkassodienstleistungen, die nicht selten von eher kleineren und regional verankerten Kanzleien und nicht etwa von internationalen Großkanzleien angeboten werden.

Es ist kein Fremdbeteiligungsverbot erforderlich, um die Einhaltung der anwaltlichen Berufspflichten zu gewährleisten. Denn das operative Geschäft obliegt nicht Gesellschaftern, sondern der Geschäftsführung, an die sich das neue Berufsrecht konsequenterweise richtet. Die Berufsträger sind im Mandat zudem persönlich an das Berufsrecht gebunden. Dieser Ansatz erfüllt das Bedürfnis nach Vertraulichkeit und adressiert die Gefahren von Interessenkollisionen oder Abhängigkeiten. Eine künftige Regelung, mit der das Fremdbesitzverbot überwunden wird, muss auch regeln, inwieweit die Anteile verkehrsfähig werden, ob es Beteiligungsgrenzen geben soll und ob es einer Inkompatibilitätsregelung für Fälle bedarf, in denen zum Beispiel der Geschäftsführer eines Investors auch die Geschäftsführung der Berufsausübungsgemeinschaft übernehmen soll. Sie macht außerdem ein eine Anpassung von § 27 BORA erforderlich („Beteiligung Dritter“).

3.          Regulierung der Inkassounternehmen 

3.1.     Anwaltliche Berufspflichten 

Der Verband ist der Auffassung, dass derzeit – nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Förderung verbrauchergerechter Angebote – kein Anlass besteht, noch weitere anwaltliche Berufspflichten auf Inkassodienstleister zu erstrecken.

Der Gesetzgeber hat in der abgelaufenen Legislaturperiode mit dem Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt hinreichende Regelungen getroffen, um auf die Veränderungen der Geschäftsmodelle in der Inkassobranche und die damit verbundenen Gefährdungspotentiale zu reagieren. Mit der Gesetzesnovelle wurde dem Verbraucherschutz für „no win no fee“ Modelle durch die Einführung von Transparenzpflichten im Hinblick auf die Vereinbarung von Erfolgshonoraren und Kostenübernahmeversprechen Rechnung getragen (§§ 13b und 13c RDG). Daneben wurde die Aufsicht über die Inkassodienstleister gestärkt. Im Registrierungsverfahren und bei jeder Änderung der Geschäftsmodelle wird ihre Vereinbarkeit mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz und die Zulässigkeit von rechtsberatenden Nebenleistungen geprüft (Neufassung von § 13 RDG).

Der Verband sieht keinen Grund, weitere Berufspflichten auch auf Inkassodienstleister zu erstrecken. In die Berufsausübungsfreiheit von Inkassodienstleistern eingreifende Maßnahmen bedürften eines in der Tätigkeit von Inkassodienstleistern begründeten Anlasses. Der Schutz der Anwaltschaft vor Konkurrenz ist noch kein legitimes gesetzgeberisches Anliegen (BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 1997 – 1 BvR 780–87 – NJW 1998, 3481 (3483) – MasterPat). Der Bundesgerichtshof hat auch klargestellt, dass die strengeren Berufspflichten von Rechtsanwälten nicht prinzipiell unbillig sind (Bundesgerichtshof, Lexfox I, Urteil vom 27.11.2019 – VIII ZR 285/18, Rn. 173).

Außerdem unterliegen Inkassodienstleister den Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung, die einen erheblichen Sanktionsrahmen für die Weitergabe von Kundendaten vorsieht. Eine darüberhinausgehende – auch strafrechtliche – Absicherung der Vertraulichkeit erscheint angesichts der Beschränkung auf den weniger sensiblen Bereich der Forderungsdurchsetzung nicht notwendig, zumal es jedem Inkasso-Kunden offensteht, anstelle eines Inkassodienstleisters einen Rechtsanwalt mit der Forderungsdurchsetzung zu betrauen.

3.2.     Zentrale Aufsicht 

Im Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote wurde geregelt, dass die Justiz-Aufsicht die Geschäftsmodelle der Anbieter vorab prüft, und dieser Prüfung eine Tatbestandswirkung im späteren Zivilprozess um die Forderungsdurchsetzung zukommen kann. In der Praxis muss die Justiz-Aufsicht in die Lage versetzen werden, eine angemessene Prüfung der Geschäftsmodelle zu stemmen. Eine zu stark administrativ geprägte Aufsichtsstruktur, die mehr Rechtssicherheit schafft, aber Innovation durch umständliche Prüfungsprozesse hemmt oder „Forum Shopping“ zwischen verschiedenen Bundesländern befeuert, wäre ein Rückschritt. Deshalb ist für Rechtsdienstleister nach dem RDG eine bundesweit agierende, zentralisierte Aufsichtsbehörde erforderlich.

Wir verweisen ergänzend auf unsere

die im Zusammenhang mit den entsprechenden Teilaspekten dieser Stellungnahme stehen.