Stellungnahme zur Vorbereitung der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 24. April 2024 zur

  • Regelung hybrider und virtueller Versammlungen in der Bundesnotarordnung, der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Patentanwaltsordnung und dem Steuerberatungsgesetz sowie zur Änderung weiterer Vorschriften des Rechts der rechtsberatenden Berufe
    – BT-Drucksache 20/8674 –
  • sowie zum Änderungsantrag der Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zu diesem Entwurf

Der Rechtsausschuss befasst sich in einer öffentlichen Anhörung am 24. April 2024 mit einem Gesetzesvorhaben der Bundesregierung zur „Regelung hybrider und virtueller Versammlungen in der Bundesnotarordnung, der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Patentanwaltsordnung und dem Steuerberatungsgesetz sowie zur Änderung weiterer Vorschriften des Rechts der rechtsberatenden Berufe“ und einem dazu ergangenen Änderungsantrag der Mehrheitsfraktionen mit Stand 31.1.2024, BT-Drucksache 20/8674.

Mit dem vorgelegten Papier sollen die Anhörung und meine Ausführungen vorbereitet werden. Wir beschränken uns auf drei Themenkomplexe aus der BRAO, nämlich auf

  • die Situation ausländischer Kanzleien in Deutschland (§§ 207a, 59i Abs. 1 BRAO, vgl. Art. 2 Nr. 17, S. 11 im Regierungsentwurf),
  • die vorgesehenen Regelungen zur „Mandatsgesellschaft“ (§ 59f BRAO-E, vgl. Art. 2 Nrn. 5, 8, S. 9 im Regierungsentwurf), sowie
  • die Vorschläge zum Thema Verhinderung von Geldwäsche (§ 73a BRAO-E, vgl. Nr. 13 im Änderungsantrag, S. 9).

 

 

1        Zusammenfassung/Executive Summary

  • Der vorliegende Regierungsentwurf in Gestalt des Änderungsantrags enthält im Wesentlichen zahlreiche sinnvolle Regelungen. Kleinere Anmerkungen sollten zur besseren Umsetzung berücksichtigt werden.
  • Der neue § 73a BRAO-E (Änderungsantrag) bewirkt erhebliche Eingriffe in die Berufsfreiheit der Anwaltschaft und stellt Kammern vor große Herausforderungen. Trotz dieser Herausforderungen muss die Anwaltschaft ihren Beitrag zur Bekämpfung von Geldwäschekriminalität leisten.
  • Die neuen Regelungen zur Mandatsgesellschaft schaffen Rechtsklarheit nur bei reinen (monoprofessionellen) Anwalts-ARGE’n, nicht aber bei gemischten ARGE’n, die mindestens genauso wichtig wie die monoprofessionellen ARGE’n sind. Die gemischten ARGE‘n werden durch die Neufassung sogar unmöglich gemacht, was kaum gewollt sein kann. Das sollte geändert werden.
  • Die Regelungen für Auslandsgesellschaften iSd § 207a BRAO sollten so gestaltet werden, dass alle in § 59c Abs. 1 S. 1 BRAO genannten Berufsgruppen auch bei ausländischen Kanzleien zulässig sind. Außerdem sollte eine Öffnungsklausel geschaffen werden, um den vielgestaltigen Besonderheiten ausländischer Kanzleien angemessen gerecht werden zu können. Der Gesetzgeber läuft sonst Gefahr, immer neue Ausnahmetatbestände schaffen zu müssen.

 

2        Anmerkungen zu kleineren Themen

  • Mit dem vorliegenden Regierungsentwurf („RegE“) und dem Änderungsantrag werden zahlreiche sinnvolle Änderungs- und Ergänzungsvorschläge in der BRAO vorgelegt.

 

2.1        Virtuelle/hybride Kammerversammlungen, § 86a BRAO-E

  • So wird es ausdrücklich begrüßt, dass künftig auch hybride und /oder virtuelle Kammerversammlungen zugelassen sind.

          Art. 2 Nr. 12: § 86a BRAO-E (RegE S. 10)

  • Die funktionale Selbstverwaltung leidet etwas unter schwindender Teilnahme ihrer Mitglieder, gerade in der Anwaltschaft. Die Teilnahme an Kammerversammlungen ist für die Anwaltschaft in der Fläche, aber auch in der Großstadt ist nicht immer leicht, und nicht alle Anwältinnen und Anwälte eines Kammerbezirks sind bereit oder in der Lage, an einer Versammlung teilzunehmen, wenn sie vielleicht nur an einigen Themen interessiert sind. So senkt der neue § 86a BRAO-E durch die virtuelle Teilnahmemöglichkeit die Zugangsschwellen, was für die demokratische Legitimation nur gut sein kann.
  • Allerdings empfiehlt sich, § 86a Abs. 2 BRAO-E als Sollvorschrift zu gestalten. Virtuelle Verhandlungen oder Besprechungen sind keine schlechte Alternative zu Präsenzveranstaltungen, die nur unter besonderen Umständen in Betracht kommen. Eine solche Kommunikation ist gleichwertig, aber kein Minus zur Präsenzveranstaltung. Die Gleichwertigkeit dieser Formen der Kommunikation sollte sich in § 86a Abs. 2 BRAO-E auch bemerkbar machen.

 

2.2        Virtuelle/hybride Satzungsversammlung und Hauptversammlung

  • Die vorgenannten Erwägungen gelten auch hier. Bei der Satzungsversammlung finden Sitzungen der einzelnen Ausschüsse und Unterausschüsse nach meiner Erfahrung so gut wie nur noch virtuell statt. Das hat sich als sehr effizient erwiesen. Plenarsitzungen der Satzungsversammlung erfüllen auch den Zweck der Vernetzung und des besseren Kennenlernens der Mitglieder, was es aber nicht ausschließt, virtuelle Sitzungen durchzuführen.

           Art. 2 Nr. 14: § 191c Abs. 3 BRAO-E (RegE S. 10)

  • Für die Hauptversammlung der BRAK kann nichts anderes gelten.

           Art. 2 Nr. 13: § 189 Abs. 5 BRAO-E (RegE S. 10)

 

2.3        Kommunikation per beA oder in Textform, § 37 BRAO-E

  • Die im RegE vorgesehene Möglichkeit für Mitglieder von Rechtsanwaltskammern, die über kein beA verfügen, in Textform zu kommunizieren, ist pragmatisch und sinnvoll.

           Art. 2 Nr. 3: § 37 Abs. 3 BRAO-E (RegE S. 8)

  • Der Änderungsantrag ist indes strenger, weil er alternativ zum beA nur die Kommunikation über die Übertragungswege iSd § 130a Abs. 2 Nrn. 2-5 ZPO gestatten will. Das ist insoweit folgerichtig, als Anwälte das beA benutzen müssen, weil sie eins haben, der RegE aber bei anderen Kammermitgliedern die Anforderungen an den Herkunftsnachweis senkt. Diese Schlechterstellung von Anwälten einerseits mit dem Eingeständnis, dass die E-Mail ein weitverbreitetes Kommunikationsmitel ist, sollte dazu führen, dass auch in der Kommunikation mit Anwälten die Textform möglich ist, wenn entsprechendes Einverständnis besteht.

 

2.4        Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer, § 60 Abs. 2 BRAO-E

  • Hier sind zwei Neuerungen geplant, von denen eine völlig unproblematisch und die andere etwas diffiziler ist.

 

2.4.1        Kammermitgliedschaft bei ausländischen Berufsausübungsgesellschaften, § 60 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 BRAO-E

  • Unproblematisch ist die im RegE vorgesehene neue Nr. 4 zu § 60 Abs. 2.

           Art. 2 Nr. 9: § 60 Abs. 2 Nr. 4 (RegE S. 9)

  • Mit dieser Neuregelung wird eine Unsicherheit beseitigt, weil nun klargestellt wird, dass bei ausländischen Berufsausübungsgesellschaften nur die Mitglieder der deutschen Geschäftsleitung Kammermitglied werden, nicht aber alle Mitglieder des weltweiten Managements.

 

2.4.2        Vermeidung doppelter Mitgliedschaft in Rechtsanwalts- und Steuerberaterkammern, § 60 Abs. 2 S. 2 BRAO-E

  • Im Änderungsantrag der Mehrheitsfraktionen ist in Abs. 2 ein zusätzlicher Satz vorgesehen, mit dem ein Problem in der Zulassungspraxis beseitigt werden soll: Die Doppelmitgliedschaften von Partnern von Personengesellschaften in Rechtsanwalts- und Steuerberaterkammern.

2.4.2.1        Hintergrund

  • Dem liegt folgendes zugrunde: Nach dem Wortlaut gilt, dass Mitglieder von Geschäftsführungs- und Aufsichtsorganen Mitglieder der Rechtsanwaltskammer sein müssen. Wenn sie als Rechtsanwalt nicht ohnehin schon Kammermitglied sind, werden sie es über § 60 Abs. 2 Nr. 3 BRAO. Sind Steuerberater Mitglied der Geschäftsführung, werden sie also auch Mitglied der Rechtsanwaltskammer (neben ihrer Mitgliedschaft in der Steuerberaterkammer).
  • Diese Vorschrift existierte schon vor der BRAO-Reform, hatte jedoch einen viel engeren Anwendungsbereich, denn sie galt nur für Rechtsanwaltsgesellschaften nach der alten Terminologie: Das waren nach § 59k Abs. 1 BRAO aF nur Anwalts-GmbH’s. Davon gab es nur einige Hundert. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift erweiterte sich aber dadurch, dass er nicht nur für Rechtsanwaltsgesellschaften nach alter Terminologie, sondern allgemein für Berufsausübungsgesellschaften gilt. Dazu gehören auch Personengesellschaften incl. Partnerschaften, von denen es wiederum einige Tausend gibt.
  • Bei Partnerschaften (wie generell bei Personengesellschaften) sind alle Partner geschäftsführungsbefugt, eine organschaftliche Fremdgeschäftsführung gibt es nicht. Partner einer Personengesellschaft können nur teilweise von der Geschäftsführung ausgeschlossen werden, § 6 Abs. 2 PartGG. Obwohl im Gesetz von „Geschäftsführungsorgan“ die Rede ist und das wiederum nur bezogen auf Kapitalgesellschaften galt, entstand nun die Frage, wie mit dem nichtexistierenden Geschäftsführungsorgan bei Personengesellschaften umzugehen sei. Pragmatisch wäre es gewesen, bei Personengesellschaften nur diejenigen als Geschäftsführungsorgan anzusehen, die von der Partnerschaft in entsprechende Ämter gewählt werden. Das wäre auch im Sinne des Gesetzgebers gewesen: denn der historische Gesetzgeber wollte damals den § 60 nur redaktionell anpassen. In der damaligen Gesetzesbegründung hieß es:

„Zu Nummer 24 (Änderung des § 60 BRAO)

Wie bereits bisher werden die Mitglieder von Geschäftsführungs­organen von zugelassenen Berufsausübungsgesellschaften Kammermitglied, sofern diese nicht bereits aufgrund ihrer persönlichen Zulassung Mitglied der Rechtsanwaltskammer sind. Absatz 2 Nummer 3 BRAO-E erweitert dies nunmehr auf die Mitglieder der Aufsichtsorgane.“

(Gesetzesbegründung vom 17.3.2021, Drs. 19/27670 zu § 60 BRAO, S. 200)

  • Der Gesetzgeber hatte also nur Mitglieder von Geschäftsführungsorganen im Blick, nicht aber alle Partner einer Personengesellschaft. Man hätte danach bereits gut vertreten können, dass die Doppelmitgliedschaft nicht angezeigt ist. Dem hatten sich aber viele Rechtsanwalts- und Steuerberaterkammern verschlossen.

(Zu Verfassungsfragen BayAGH v. 25.7.2023 – BayAGH III-4-5/23, DStR 2023, 2868 mAnm Kilian, die Entscheidung ist nicht rechtskräftig)

2.4.2.2        Besonderheit des Änderungsantrags

  • Dem will der Änderungsantrag durch den neuen Satz 2 abhelfen.

          Änderungsantrag zu Art. 2 Nr. 11 d), S. 8 f.

  • Die Initiative ist zu begrüßen, allerdings ist die Ausführung nicht praxisgerecht, weil die zusätzliche Kammermitgliedschaft nur dann ausscheiden soll, wenn die Geschäftsführungsbefugnis auf den eigenen Beruf beschränkt ist. Sowohl BRAK wie auch Prof. Uwer haben in ihren Stellungnahmen darauf hingewiesen, dass das kaum praktikabel ist und möglicherweise nicht zur Zielerreichung beiträgt. Eine gut handhabbare Regelung würde vorsehen, dass die Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer unterbleiben kann, wenn jemand bereits Mitglied einer Steuerberater-, Wirtschaftsprüfer- oder Patentanwaltskammer ist.

2.4.2.3        Vorschlag

  • Ich schlage daher vor, den Formulierungsvorschlag der BRAK oder von Prof. Uwer zu übernehmen, weil damit das Problem tatsächlich gelöst wird.

 

2.5        Sonstige Änderungsvorschläge

  • Die übrigen Angelegenheiten zur BRAO, die nicht vor- oder nachstehend behandelt werden, insbesondere die Vorschläge zur Vereinfachung des Verfahrens bei den Rechtsanwaltskammern, sind sämtlichst sinnvoll.

 

3        Anmerkungen zu Sonderthemen

  • Der RegE behandelt in der BRAO zwei Themenbereiche noch nicht sachgerecht bzw. geht nicht weit genug. Er löst zum Beispiel bei den Mandatsgesellschaften einige Probleme, aber lässt andere bereits bekannte Probleme unberücksichtigt. Der Änderungsantrag geht einen Schritt in die richtige Richtung. Beide, RegE und Änderungsantrag, behandeln aber nicht das Problem der interprofessionellen oder „gemischten“ Mandatsgesellschaften. Das lässt der Neuregelung nur einen sehr eingeschränkten Anwendungsbereich und führt möglicherweise sogar zu einer Verschlechterung.
  • Bei den Auslandsgesellschaften wird § 207a BRAO durch das Bestreben, möglichst viele Sonderkonstellationen zu erfassen, immer schlechter handhabbar. Gerade für Kanzleien mit Sitz im Vereinigten Königreich oder in den USA, die seit Jahrzehnten unangefochten und erfolgreich in Deutschland praktizieren, sind Zulassungsprobleme entstanden, welche die Situation dieser Kanzleien im Vergleich zum Rechtszustand vor dem Inkrafttreten der BRAO-Reform (1.8.2022) verschlechtern, obwohl die BRAO-Reform das gerade nicht wollte und überdies Deutschland sich gesetzlich verpflichtet hat, ausländische Berufsausübungsgesellschaften aus diesen Ländern inländischen Berufsausübungsgesellschaften gleichzustellen.

 

3.1        Überprüfung von Sammelanderkonten, § 73a BRAO-E

  • Vorab soll jedoch kurz der Änderungsantrag der Mehrheitsfraktionen kommentiert werden, mit dem ein neuer § 73a BRAO-E geschaffen werden soll.

          Änderungsantrag zu Art. 2 Nr. 13, S. 9

 

3.1.1        Hintergrund

  • Die in Teilen der Anwaltschaft beliebten sogenannten Sammelanderkonten waren im Jahr 2022 ins Zwielicht geraten und wurden von den Banken gekündigt. Daraufhin befasste sich die Satzungsversammlung mit dem Thema und verschärfte die Berufspflichten nach § 4 BORA, um einen Missbrauch von Sammelanderkonten für Geldwäsche, Steuerhinterziehung und andere Formen der Kriminalität zu verhindern. Aus den jährlichen Berichten der Rechtsanwaltskammern und der BRAK ergibt sich, dass die Einhaltung der Pflichten regelmäßig geprüft werden.
  • Der neue § 73a BRAO-E geht noch einen Schritt weiter und schafft die Verpflichtung der Kammern, anlasslose Kontrollen durchzuführen. Was der empirische Anlass zu dieser Verschärfung ist, bleibt allerdings unklar. Hintergrund ist wohl das schlechte Ansehen der Anwaltschaft, die gerade wegen ihrer beratenden Tätigkeit als „Professional Enablers“ von Geldwäsche und Steuerhinterziehung angesehen werden. Darin ist richtig, dass vermutlich viele Rechtsgestaltungen im grauen oder dunkelgrauen Bereich mit Unterstützung von Rechtsanwälten durchgeführt werden. Ob das den Schluss auf die Anwaltschaft insgesamt rechtfertigt, ist allerdings zweifelhaft. Die organisierte Anwaltschaft verteidigt sich häufig mit ihrer Verschwiegenheitspflicht, adressiert aber nicht das Problem, dass die Abwägung zwischen Wahrung der Verschwiegenheitspflicht einerseits und Kriminalitätsbekämpfung andererseits unterschiedlich ausfällt je nachdem, ob ein Mandant vor staatlichem Zugriff geschützt und verteidigt wird (dann muss die Verschwiegenheit unangetastet bleiben), oder ob Mandanten bei der Erreichung deren wirtschaftlicher Ziele einschließlich optimaler Steuergestaltung bis zur Steuervermeidung rechtlich unterstützt werden (dann fällt die Abwägung naturgemäß anders aus).

 

3.1.2        Lösung

  • Angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung der Bekämpfung von Geldwäsche kann die Anwaltschaft sich einer Kontrolle nicht entziehen. Die verfassungsrechtlichen Implikationen hat Prof. Uwer in seiner Stellungnahme überzeugend dargelegt. Gerade die Frage der Asymmetrie zwischen angestrebten Zielerreichung durch Kontrolle und tatsächlicher Verwendung von Anderkonten muss adressiert werden.
  • Eine Blockadehaltung ist nicht hilfreich, sondern ist eher geeignet das Misstrauen gegenüber der Anwaltschaft zu verstärken.

 

3.2        Mandatsgesellschaften iSd § 59f Abs. 1 Nr. 2 BRAO-E

  • Die neu eingeführten Mandatsgesellschaften sollen ein Problem vieler Anwaltskanzleien lösen, die sich mit anderen für die Dauer eines Projekts auf bestimmte Zeit zusammenschließen. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings führen die konkreten Regelungen zu einer Verschlechterung der Situation.

 

3.2.1        Hintergrund

  • In der Praxis gibt es häufig Arbeitsgemeinschaften zur Bearbeitung komplexer Mandate, ähnlich der ARGE im Bauwesen.

          (Vgl. dazu Hartung/Melchior, AnwBl 2013, 577)

  • Dabei muss man die reine Anwalts-ARGE und die gemischte ARGE Bei der reinen Anwalts-ARGE schließen sich mehrere Anwaltssozietäten oder Einzelanwälte zusammen, etwa weil sie allein nicht die notwendige Kapazität haben (Diesel-Massenverfahren) oder weil spezielles Knowhow fehlt. Bei der gemischten ARGE dagegen schließt sich eine Anwaltssozietät mit nicht sozietätsfähigen anderen Dienstleistern, z.B. einem Unternehmensberater, einem IT-Dienstleister, einem Pensionsgutachter- oder anderen Sachverständigenbüro oder Ähnlichen zusammen.
  • Für solche projektbezogene Verbindungen gibt es gerade für kleinere und hochspezialisierte Kanzleien einen Bedarf. In umfangreichen Projekten können sie nur bestimmte Rechtsbereiche abdecken, während Auftraggeber aber erwarten, dass sie rechtliche und technische Lösungen aus einer Hand bekommen, verbunden mit einer gemeinsamen Haftung der ARGE-Konsorten. Dieses Auftraggeberinteresse ist verständlich, weil der Auftraggeber sich im Schadensfall nicht mit der Frage befassen will, welcher der Konsorten für welchen Schaden verantwortlich ist.
  • Nach dem heutigen Rechtszustand sind solche Verbindungen zwischen Kanzleien, die immer nur für die Zeitdauer des konkreten Projekts eingegangen werden, zwar nicht verboten, aber nur suboptimal geregelt. Es war etwa unklar, ob es sich bei diesen Anwalts-ARGE’n um zulassungsbedürftige Berufsausübungsgesellschaften handelte. Die Hanseatische Rechtsanwaltskammer Hamburg einerseits und die Rechtsanwaltskammer Schleswig-Holstein andererseits vertraten hier unterschiedliche Auffassungen. Das schaffte Unsicherheit in einem Bereich, wo gerade bei der Bewerbung um ausgeschriebene Projekte Eile und Rechtssicherheit erforderlich ist.

 

3.2.2        Lösungsvorschlag durch RegE und Änderungsantrag

  • Der Gesetzgeber will dieses Problem adressieren, indem er in der neuen Vorschrift feststellt, dass solche Mandatsgesellschaften Berufsausübungsgesellschaften sind, aber nicht als solche zugelassen werden müssen.

          Art. 2 Nr. 5: § 59f Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BRAO-E (RegE S. 9)

  • Der Regierungsentwurf beschränkt sich jedoch nur auf Gesellschaften und lässt Einzelanwälte aus dem Blick. Der Änderungsantrag der Mehrheitsfraktionen ist folgerichtig, weil er auch Einzelanwälte als Teil einer solchen Mandatsgesellschaft zulässt. Denn es ist kein Grund ersichtlich, warum so etwas nur für Berufsausübungsgesellschaften gelten soll.

           Änderungsantrag zu Art. 2 Nr. 6, S. 6 f.

  • Problematisch sind aber die Versicherungspflicht der reinen Mandatsgesellschaft einerseits und andererseits der Umstand, dass gemischte ARGE’n nicht zulässig sind. Das stellt Bietergemeinschaften aber vor erhebliche Probleme, weil sie dann gezwungen werden, etwas anzubieten, was sie nicht anbieten dürfen.

3.2.2.1        RegE schafft Probleme bei der gemischten ARGE

  • Wenn der RegE die projektbezogene Anwalts-ARGE als Berufsausübungsgesellschaft definiert, wird dadurch die gemischte ARGE unzulässig, weil sie gegen § 59i Abs. 1 BRAO verstößt. Danach darf bei doppelstöckigen Berufsausübungsgesellschaften nur eine zugelassene Berufsausübungsgesellschaft im Sinne der BRAO Gesellschafter sein, aber keine branchenfremde Gesellschaft (Fremdbesitzverbot). Diese Voraussetzung erfüllen Unternehmen in gemischten ARGE’n aber so gut wie nie. Eine Zusammenarbeit wäre selbst dann nicht möglich, wenn in den anderen Unternehmen Berufe ausgeübt werden, die ihrerseits sozietätsfähig sind (beratende Informatiker, beratende Volks- und Betriebswirte, sonstige freie Berufe).
  • Für gemischte ARGE’n besteht aber ein großes Bedürfnis. Das folgt schon allein aus dem Vergaberecht: Die Öffentliche Hand (vor allem nach der UvGO) schreibt gemischte Projekte zwingend in der Form von ARGEn aus, was logischerweise zur Folge hätte, dass sich Anwälte als Konsorten an einer solchen Ausschreibung eigentlich nicht beteiligen dürften. Auftraggeber bestehen aber oft darauf, auch die öffentliche Hand als Auftraggeber und auch dann, wenn sie darauf hingewiesen werden, dass das nicht zulässig ist. Das hat zwar die Vergabekammer Berlin-Brandenburg vor einigen Jahren schon einmal für rechtswidrig angesehen, aber Klagen gegen solche Vergabebedingungen werden wegen des wirtschaftlichen Drucks selten erhoben.

VK Brandenburg, Beschl. v. 3.9.2014 – VK 14/14, NZBau 2014, 793 unter Verweis auf den o.g. Beitrag von   Hartung/Melchior)

  • Bei der freihändigen Vergabe von gemischten Projekten durch private Unternehmen wird regelmäßig schon aus Haftungs- und Vereinfachungsgründen ebenfalls gefordert, dass das Konsortium als ARGE auftritt, was aber berufsrechtlich unzulässig ist.
  • Bislang konnte man sich als Ausweg aus diesem Dilemma auf die Argumentation von Ewer in der FS Henssler stützen, wonach eine ARGE zwar gesellschaftsrechtlich eine GbR sein mag, dass sie aber eben keine Berufsausübungsgesellschaft im Sinne der BRAO ist, weil ihr, da nur auf ein einzelnes Projekt bezogen, die erforderliche Dauerhaftigkeit fehlt.

(Ewer, Die einzelmandatsbezogene ARGE – keine Berufsausübungsgesellschaft iSv § 59b Abs. 1 S. 1 BRAO, in: Festschrift für Martin Henssler zum 70. Geburtstag, 2023, S. 1389 ff.)

  • Diese sehr hilfreiche und gut begründete Argumentation wird jetzt vom Gesetzgeber – wahrscheinlich ungewollt – unmöglich gemacht, wenn in § 59f Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BRAO-E die Mandatsgesellschaft ausdrücklich als Unterart der Berufsausübungsgesellschaft definiert wird. Die gemischte ARGE ist damit für Anwälte erledigt. Der Gesetzgeber erreicht damit durch diese Gestaltung das Gegenteil dessen, was er erreichen wollte.

3.2.2.2        Versicherungspflicht bei monoprof. ARGE nicht erforderlich

  • Der RegE will die Versicherungspflicht einer reinen Anwalts-ARGE beibehalten. Dies ist aber unnötig, denn bei der reinen Anwalts-ARGE sind die Konsorten alle selbst Rechtsanwälte oder Berufsausübungsgesellschaften und haben selbst Versicherungsschutz. Eine Erstreckung des Versicherungsschutzes von der einzelnen Kanzlei auf die ARGE ist Alltag. Warum die ARGE darüber hinaus auch noch Versicherungsschutz braucht, bleibt unklar.

 

3.2.3        Vorschlag

  • Damit bringen RegE und Änderungsantrag Erleichterungen bei der reinen Anwalts-ARGE, verhindern aber gemischte ARGE’n endgültig. Das kann nicht gewollt sein.
  • Sinnvoller wäre die Klarstellung im Sinne von Ewer, nämlich dass ARGE‘n keineBerufsausübungsgesellschaften im Sinne der §§ 59b ff. BRAO sind. Dann würde daraus folgen, dass sie keiner Zulassung und auch keiner eigenen Versicherung bedürfen. Das müsste auch im Sinne des Gesetzgebers sein, der Mandatsgesellschaften bewusst nicht regulieren will.

 

3.3        Ausländische Gesellschaften, § 207a BRAO-E

3.3.1        Ausgangspunkt

  • Mit der Schaffung des § 207a BRAO wurde für ausländische Berufsausübungsgesellschaften erstmals eine gesetzliche Grundlage geschaffen. Zwar erfolgt keine komplette Gleichbehandlung ausländischer und inländischer Berufsausübungsgesellschaften. Der Gesetzgeber wollte aber die Zulassungsfähigkeit ausländischer Kanzleien weitgehend an „deutschen“, also für deutsche Kanzleien geltenden bzw. einzuführenden Maßstäben messen. Gleichzeitig sollten die Befugnisse ausländischer Kanzleien nicht so weitreichend wie bei deutschen oder EU-Kanzleien sein, weil damals aus Sicht der organisierten Anwaltschaft die Sorge vor dem Eindringen ausländischer (insbes. chinesischer) Kanzleien in den deutschen Markt bestand. Deshalb wurden gerade die Erleichterungen für deutsche Kanzleien nach § 59i Abs. 1 BRAO (Zulässigkeit der Gesellschafterstellung einer zugelassenen Berufsausübungsgesellschaft in einer anderen Berufsausübungsgesellschaft) für ausländische Kanzleien ausgeschlossen, ohne dass sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, warum das eigentlich so sein soll:

„Zu Absatz 2 

An die ausländischen Berufsausübungsgesellschaften sind im Grundsatz die gleichen Anforderungen zu stellen, wie an inlän­dische Gesellschaften. Insbesondere sind die Gesellschaft und die Gesellschafterinnen und Gesellschafter gleichermaßen an die anwaltlichen Berufspflichten gebunden. Das Zulassungsverfahren entspricht demjenigen der inländischen Gesellschaften. Auch hinsichtlich Gesellschafter- und Kapitalstruktur müssen die Gesellschaften nach Satz 1 die Voraussetzungen des § 59i Absatz 2 bis 5 BRAO-E erfüllen. Diese Voraussetzungen müssen nicht nur im Hinblick auf die deutsche Zweigniederlassung, sondern im Hinblick auf die gesamte Gesellschaft erfüllt werden. Anderenfalls entstünden deutschen Berufsausübungsgesellschaften erhebliche Nachteile. Diesen ist beispielsweise eine Finanzierung über rein kapitalistische Beteiligungen nicht erlaubt. Würde man internationalen Anwaltskonzernen, die sich über rein kapitalistische Beteiligungen finanzieren, eine Rechtsdienstleistungstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland erlauben, so entstünde deutschen Anwaltskanzleien ein schwerwiegender Wettbewerbsnachteil. Gleiches gilt für den Kreis der zulässigen Gesellschafterinnen und Gesellschafter.

Es soll nicht zulässig sein, dass ausländische Gesellschaften sich an Gesellschaften nach den §§ 59b und 59c BRAO-E beteiligen, § 59i Absatz 1 BRAO-E ist daher von der Verweisung ausgenommen.“ (Hervorhebung hinzugefügt)

(BT-Drs. 19/27670 vom 17. März 2021, S. 238, 239.

  • Neben dieser Beschränkung des fehlenden Verweises auf § 59i Abs. 1 Satz 1 BRAO erfolgte eine weitere Beschränkung, nämlich wegen des Kreises der zulässigen Berufe der Gesellschafter: § 207a Abs. 1 verwies nicht vollständig auf § 59c Abs. 1 Nrn. 1-4 BRAO, sondern nur auf die Nrn. 1 und 2. Das führte schon bald zu nicht gewollten Zulassungsproblemen, so dass der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Stärkung der Aufsicht bei Rechtsdienstleistungen und zur Änderung weiterer Vorschriften mWv 16.3.2023 § 59c Abs. 1 Nr. 2 BRAO erweiterte, um diese ungewollten Folgen zu beseitigen.

(Gesetz vom 10.3.2023 zur Stärkung der Aufsicht bei Rechtsdienstleistungen und zur Änderung weiterer Vorschriften, BGBl. 2023 I Nr. 64)

  • Der Gesetzgeber überlegt nun eine weitere Erweiterung des zulässigen Gesellschafterkreises ausländischer Berufsausübungsgesellschaften, wobei diese Überlegungen bisher noch nicht als Referentenentwurf vorliegen. Insgesamt scheint es aber in die Richtung zu gehen, dass § 207a BRAO ohne Beschränkungen auf § 59c BRAO verweisen wird.

 

3.3.2        Beschränkungen des Gesellschafterkreises nicht sachgerecht

  • Diese schrittweise Erweiterung trägt letztlich dem Umstand Rechnung, dass die eingeschränkten Möglichkeiten für ausländische Berufsausübungsgesellschaften letztlich nicht sachgerecht sind. Durchgreifende Erwägungen gegen eine völlige Gleichstellung deutscher und ausländischer Berufsausübungsgesellschaften waren und sind nicht ersichtlich. In der damaligen Anhörung vor dem Rechtsausschuss zur BRAO-Reform am 14.4.2021 hatte ich bereits vorgeschlagen, die Beschränkung komplett zu streichen und wegen des zulässigen Gesellschafterkreises insgesamt auf § 59c Abs. 1 BRAO zu verweisen.

(Stellungnahme zur Vorbereitung der öffentlichen Anhörung vor dem Rechtsausschuss am 14.4.2024, S. 9 ff., Rnrn. 27 ff., verfügbar im Archiv des Rechtsausschusses hier: https://www.bundestag.de/resource/blob/834122/c6fbde6de8e46cc3bc43220f1c3ec06e/stellungnahme-hartung.pdf )

  • Es wäre richtig und sachgerecht, das möglichst schnell umzusetzen, denn es gibt eine Vielzahl hängender Zulassungsverfahren gerade wegen solcher Beschränkungen, die niemand wirklich wollte.

 

3.3.3        Lösungsversuch durch den RegE

  • Mit dem vorliegenden RegE will der Gesetzgeber die korporative Beschränkung, also den Geltungsausschluss des § 59i Abs. 1 BRAO, beseitigen. Denn der bislang selektive Verweis in § 207a Abs. 2 BRAO wird nun erweitert.

           Art. 2 Nr. 17: § 207a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BRAO-E (RegE S. 11)

  • Damit können sich ausländische Berufsausübungsgesellschaften mit Niederlassung in Deutschland an deutschen und an EU-Kanzleien beteiligen. Sie können sich aber – entgegen der Begründung des RegE, der insoweit unklar ist – auch an anderen ausländischen Berufsausübungsgesellschaften beteiligen. Der Gesetzeswortlaut umfasst eine solche Befugnis, und es ist auch kein Grund ersichtlich, warum das nicht zulässig sein soll. Zwar spricht die Gesetzesbegründung nur von der jetzt geschaffenen Möglichkeit der Beteiligung ausländischer Kanzleien an deutschen oder an Kanzleien mit Sitz in einem Mitgliedstaat der EU. Wenn durch diese Formulierung nahe gelegt werden soll, dass die Beteiligung einer ausländischen Kanzlei an einer anderen ausländischen Kanzlei nicht möglich sein soll, ohne dass dafür ein Grund ersichtlich wäre, dann hätte sich dieser Wunsch des Gesetzgebers jedenfalls nicht im neuen Wortlaut niedergeschlagen. Insgesamt wäre es aber insoweit hilfreich, wenn die Begründung anders, nämlich weniger missverständlich formuliert würde.
  • Mit dieser Erweiterung der Befugnis zeichnet der Gesetzgeber letztlich nach, was Martin Henssler, dessen Konzept eines neuen anwaltlichen Gesellschaftsrechts hinter der BRAO-Reform stand, in seiner aktuellen Kommentierung vorgegeben hatte. Dort hatte er sogar die Auffassung vertreten, dass schon nach heutigem Recht eine entsprechende Beteiligung zulässig sei.

           (Henssler/Prütting/Henssler, 6. Aufl. 2024, BRAO § 207a Rn. 40 ff.)

  • Ob diese Auffassung letztlich überzeugt, kann dahinstehen, da der Gesetzgeber mit dem vorliegenden RegE diese Möglichkeit ja schaffen will.

 

3.3.4        Keine Lösung aktueller Probleme

  • Losgelöst von dieser Frage bleiben aber weitere Probleme bei den ausländischen Kanzleien, die durch Besonderheiten ausländischer Sozietätsstrukturen bedingt sind. Viele Zulassungsverfahren ausländischer Kanzleien hängen derzeit fest, weil (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) folgende Fragen problematisch sind:
    1. Von US-Kanzleien wird der Nachweis verlangt, dass sie in den USA als Kanzlei (und nicht nur in der Person ihrer Partnerinnen und Partner) rechtsdienstleistungsbefugt sind,
    2. viele internationale Kanzleien sind nicht als einheitliche Gesellschaft strukturiert, sondern als sog. parallele Gesellschaften, zwischen denen wiederum von der englischen Berufsaufsicht, der Solicitors Regulation Authority („SRA“) beaufsichtigte Holdings in der Rechtsform der UK-LLP Teile der Anteile halten, was mit dem deutschen Holding-Begriff iSd § 59i Abs. 1 Nr. 3 BRAO nicht übereinstimmt,
    3. ergänzend zu solchen Strukturen kommt es vor, dass bei internationalen Kanzleien zB die eine an der anderen beteiligt ist, die wiederum eine Zweigniederlassung in Deutschland hat, was aber nicht für die sich beteiligende Gesellschaft gilt,
    4. in US-Kanzleien sind häufig neben Partnern als natürliche Personen aus steuer- und haftungsrechtlichen Gründen sog. Professional Corporations (PC) beteiligt, bei denen es sich wiederum um Ein-Mann-Gesellschaften mit dem jeweiligen Anwalt als einzigen Gesellschafter handelt,
    5. manche Kanzleien haben Partner mit Berufszulassungen aus einem Nicht-WTO-Staat, die ausschließlich im Ausland tätig sind, keinerlei Berührung zum deutschen Rechtsmarkt haben und weder hier tätig waren noch beabsichtigen, in Deutschland tätig zu sein, die aber einer Zulassung der Kanzlei entgegenstehen, weil sie nicht unter § 206 BRAO fallen, oder alternativ
    6. als Notare nach dem Recht eines EU-Mitgliedstaats zugelassen sind und nur in ihrem Herkunftsstaat praktizieren wollen und das in Partnerschaft mit Anwälten nach ihrem Heimatrecht auch dürfen, sich aber nur schwer unter § 59c BRAO subsumieren lassen.
  • Dies sind Fälle aus der Praxis und betreffen Kanzleien, die in diesen Strukturen schon seit Jahrzehnten in Deutschland tätig sind, in denen tausende deutscher Berufsträger tätig sind und die nun durch § 207a BRAO vor (neugeschaffenen) und nicht beabsichtigten Problemen stehen, die vom Gesetzgeber Stück für Stück abgebaut werden. Zu beachten ist weiterhin, dass fast alle vorstehenden Gestaltungen in einer deutschen Berufsausübungsgesellschaft zulässig wären, mit Ausnahme der Beteiligung einer ausländischen Kanzlei ohne Zweigniederlassung in Deutschland an einer deutschen Kanzlei. Ausländische Kanzleien, wobei es sich im Schwerpunkt eben um solche aus dem Vereinigten Königreich und aus den USA handelt, sind deutschen Kanzleien gegenüber benachteiligt.
  • Allerdings wird sich das in Rn. 57f oben geschilderte Problem der Notare aus einem EU-Mitgliedstaat lösen, wenn der Gesetzgeber die in Rn. 50 oben erwähnte Gesetzesinitiative auf den Weg bringen wird. Für das in Rnrn. 57d und 57e oben geschilderte Problem wird es auch nach einer Gesetzesänderung so, wie sie jetzt geplant ist, keine Lösung geben, weil es ein sehr spezieller Fall ist, der aber kaum rechtfertigt, warum eine ausländische Kanzlei, die seit Jahren in dieser Struktur hier praktiziert, das nun nicht mehr dürfen soll, obwohl das Problem den deutschen Markt gar nicht berührt und Gefahren für Mandanten oder die deutsche Rechtspflege nicht zu befürchten sind.
  • Dass es allerdings zu dem in Rn. 57a oben geschilderten Umstand kommt, wonach deutsche Kammern von US-Kanzleien den Nachweis der Rechtsdienstleistungserlaubnis fordern, obwohl US-Kanzleien eine solche Befugnis nicht haben, sondern durch die Verbindung der Rechtsanwälte zur gemeinsamen Berufsausübung diese Befugnis hat, ähnlich wie das vor dem BRAO-Reform im deutschen Recht war, liegt an der Unsicherheit der Rechtsanwaltskammern einerseits und der zwischen den Rechtsanwaltskammern bestehenden (nicht offiziellen) Absprachen, für die Rechtsdienstleistungsbefugnis Nachweise zu verlangen, auch wenn es die nicht gibt.
  • Die in Rn. 57c oben geschilderte Fallgestaltung wäre nach der jetzigen Neuregelung nicht möglich, denn eine ausländische Berufsausübungsgesellschaft darf sich nur dann an einer anderen (in Deutschland über eine Zweigniederlassung tätige und zugelassene) ausländischen Berufsausübungsgesellschaft beteiligen, wenn die sich beteiligende Berufsausübungsgesellschaft eine Niederlassung in Deutschland hat. Das wirkt nur auf den ersten Blick plausibel, nämlich aus dem Gedanken heraus, dass die Verflechtungen und Beteiligungen transparent sein sollen und über die Niederlassungen beide ausländischen Berufsausübungsgesellschaften der Aufsicht der Kammern unterliegen. Es wirkt aber künstlich und wie eine Förmelei, wenn die sich beteiligende Gesellschaft quasi in den Wettbewerb mit der anderen Gesellschaft begeben muss. In der Kommentarliteratur wird dies heftig kritisiert und vorgeschlagen, die Prüfung der Zulassungsfähigkeit der sich beteiligenden Gesellschaft ausreichen zu lassen, aber auf das Erfordernis einer Zweigniederlassung zu verzichten.

           (Henssler/Prütting/Henssler, 6. Aufl. 2024, BRAO § 207a Rn. 51-54)

  • Der in Rn. 57b geschilderte Holding-Fall schließlich wird durch den vorliegenden RegE nicht gelöst, weil der Gesetzgeber nur eine deutsche GbR als Holding gestatten möchte, aber nicht nachvollziehbar ist, wie das nach dem IPR bewerkstelligt werden kann. Das Problem bestünde nicht, wenn der Gesetzgeber eine transparente Personengesellschaft als Rechtsform für eine Holding zulassen würde.

           (Vgl. insoweit auch die Stellungnahme Gasteyer)

 

3.3.5        Besondere Rechte von US- und UK-Kanzleien

  • US- und UK-Kanzleien genießen besondere gesetzliche Rechte, die es verbieten, sie schlechter als deutsche Berufsausübungsgesellschaften zu behandeln.
  • Gegenüber US-amerikanischen Unternehmen und Kanzleien bestehen Verpflichtungen nach dem „Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag vom 29. Oktober 1954 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 7. Mai 1956“.

           (BGBl. 1956 II Nr. 12)

  • Nach Art. XXV Abs. 1 des Abkommens haben US-Kanzleien Anspruch auf Inländerbehandlung, also die innerhalb des Gebiets eines Vertragsteils gewährte Behandlung, die nicht weniger günstig ist, als diejenige, die dort unter gleichartigen Voraussetzungen den Staatsangehörigen, Gesellschaften und so weiter dieses Vertragsteils gewährt wird.
  • Gegenüber Unternehmen und Kanzleien aus dem Vereinigten Königreich ist Deutschland gebunden durch das „Abkommen über Handel und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft einerseits und dem Vereinigten Königreich Großbritanniens und Nordirland andererseits“ („Brexit-TCA“).

(Das Abkommen in deutscher Sprache ist veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union vom 30.4.2021, L 149/10, erhältlich hier: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX:22021A0430(01), die englische Version des Vertrages heißt „Trade and Cooperation Agreement between the European Union and the European Atomic Energy Community, of the one part, and the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, of the other part”.)

  • Aus diesem Abkommen folgt aus Art. 194 Abs. 4 S. 1 ein Anspruch auf Inländerbehandlung. Die unmittelbare Geltung des Brexit-TCA folgt aus Art. 216 Abs. 2 AEUV. Es ist EU-Primärrecht, das ohne weiteren Umsetzungsakt wirksam ist und dem nationalen Recht vorgeht. Dass aus dem Brexit-TCA kein unmittelbarer Anspruch folgt, sondern nur ein Anspruch darauf, von den noch zu schaffenden Institutionen entsprechende Rechtsgewährung zu erhalten, spielt hier keine maßgebliche Rolle, da den Kanzleien aus UK die Ansprüche auf Inländerbehandlung materiell zustehen.
  • Wenn danach der Vergleich mit deutschen Berufsausübungsgesellschaften ergibt, dass US- und UK-Kanzleien weniger erlaubt ist, dann wäre das wg. des Grundsatzes der Inländerbehandlung ohnehin bedenklich und Grund genug, insoweit auf eine Gleichbehandlung hinzuwirken.

 

3.3.6        Vorschlag: Öffnungsklausel

  • Betrachtet man also diese besonderen Umstände zugunsten von Kanzleien aus den USA und aus UK und berücksichtigt weiterhin, dass diese ausländischen Kanzleien hier seit Jahrzehnten praktizieren, nun aber an einem neuen Rechtszustand scheitern, obwohl der Gesetzgeber das ersichtlich nicht wollte, und schließlich eingedenk der Schwierigkeit, für jeden auch nur denkbaren Ausnahmefall eine passende Regelung schaffen zu können, empfiehlt sich zum einen
    1. die sich aus § 207a Abs. 1 Nr. 3 BRAO ergebende Beschränkung zu streichen und auf § 59c Abs. 1 S. 1 BRAO insgesamt zu verweisen, und
    2. eine Öffnungsklausel, wonach die Rechtsanwaltskammern in besonderen Fällen die Zulassung erteilen können, wenn eine Gefährdung der Erfüllung der Berufspflichten sowie der Belange der Rechtspflege nicht zu besorgen sind.
  • Damit würde man den Kammern ermöglichen, sinnvolle Lösungen für Fallkonstellationen, die der Gesetzgeber nicht vorausahnen konnte, zu finden.

 

4        Schlussbemerkung

  • Der vorliegende RegE sowie der Änderungsantrag sind überwiegend sinnvolle Ergänzungen, die möglichst rasch umgesetzt werden sollten. Allerdings bewirken die Regelungen zur Mandatsgesellschaft gerade wegen der gemischten ARGE’n erhebliche Probleme. Richtig wäre es, klarzustellen, dass solche auf Zeit begründeten Verbindungen als ARGE keine Berufsausübungsgesellschaften sind, die deshalb keiner Zulassung und keiner Versicherung bedürfen. Sonst würde man das Gegenteil dessen erreichen, was man erreichen wollte.
  • Was die Auslandsgesellschaften angeht, hat sich seit dem 1.8.2022 gezeigt, dass der Versuch, die vielen Besonderheiten in ausländischen Kanzleien durch Reparaturmaßnahmen zu lösen, nicht sachgerecht ist und die Lösungen immer hinterherhinken. Die Streichung der Beschränkung in § 297a Abs. 1 Nr. 3 BRAO sowie eine Öffnungsklausel wären daher zielführend.

Hier geht es zur Seite des Rechtsausschusses.

Berlin, den 22. April 2024

Markus Hartung
Rechtsanwalt