Der Legal Tech Verband Deutschland (im Folgenden “Verband”) setzt sich für die Gestaltung eines fortschrittlichen und innovationsfreundlichen regulatorischen Umfelds ein, das Rechtssicherheit für Legal Tech Unternehmungen innerhalb und außerhalb von Rechtsanwaltskanzleien schafft. Dabei orientiert sich der Verband an dem Ziel, Rechtsuchende, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen und den Rechtsstaat zu stärken.

Wir bedanken uns für die Möglichkeit, zum Referentenentwurf des BMJV Stellung nehmen zu können. Wir verweisen ergänzend auf unsere Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz für ein Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften, sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom 7. Dezember 2020, die im Zusammenhang mit der vorliegenden Stellungnahme erfolgt.

I. Einleitung

Deutschland hat eine spannende und dynamische Legal Tech Szene. Sie hat neuartige, innovative Rechtsdienstleistungen hervorgebracht, die in bestimmten Bereichen schneller und effektiver zum Ziel führen. Nichtanwaltliche Anbieter, die sich auf die Durchsetzung von Verbraucherrechten spezialisiert haben und ihnen dafür auf Provisionsbasis die Kostenrisiken abnehmen, schaffen effektiven Zugang zum Recht (zum Beispiel helpcheck für Rückabwicklung von Lebensversicherungen, myright für Diesel-Kläger, advocado oder anwalt.de für die Vermittlung von Anwaltsleistungen, Flightright für Flugentschädigungen, geblitzt.de für Geschwindigkeitsüberschreitungen, wenigermiete.de für Ansprüche von Mietern etc.). Sie setzen Ansprüche durch, die einzelne Verbraucher im herkömmlichen Wege mit Anwälten typischerweise nicht verfolgen, weil sie es mit scheinbar übermächtigen Gegnern (z.B. Airlines, Vermietern, staatlichen Stellen etc.) zu tun haben oder weil die Kostenrisiken eines gerichtlichen Verfahrens außer Verhältnis zur Forderungshöhe stehen („rationales Desinteresse“).

Aber nicht nur im Bereich des „Verbraucherinkassos“ entstehen innovative Angebote. Auch Kanzleien setzen auf den Einsatz von Technologie (z.B. bei der Abwicklung massenhafter gerichtlicher Verfahren, der Effizienzsteigerung in Sozietäten, der Bewältigung redundanter Rechtsfragen und der Entwicklung von innovativen Beratungsprodukten für Mandanten). Zudem betreten völlig neue Anbieter den Rechtsdienstleistungsmarkt (z.B. Anbieter von Vermittlungsplattformen für Rechtsdienstleistungen und Betreiber von „Selbstbedienungsangeboten“ wie Vertragsgeneratoren).

Beide Gruppen – Anwälte und nicht-anwaltliche Legal Tech Unternehmen – stoßen bei der Erschließung des Innovationspotenzials auf enorme regulatorische Hürden in Deutschland. In den Anwaltskanzleien besteht zu wenig unternehmerische Bewegungsfreiheit, um große technologische Investitionen zu stemmen und bestimmte Beratungsmodelle überhaupt anbieten zu können. Das hemmt auch die Zusammenarbeit mit Plattformbetreibern, die selbst nie vor Gericht auftreten. Und „draußen“, bei den nicht-anwaltlichen Strukturen, fehlt Rechtssicherheit bei der Frage, was Legal Tech eigentlich darf. Zwar hat der Bundesgerichtshof im Streit um „wenigermiete.de“ im Dezember 2019 bestätigt, dass mit einer Inkassoerlaubnis weitreichende Rechtsdienstleistungen bei der Durchsetzung von Geldforderungen möglich sind, einschließlich der Prozessfinanzierung. Es ist aber ungeklärt, welche konkreten Geschäftsmodelle zulässig sind. Das führt zu erheblicher Rechtsunsicherheit, denn der Erfolg der Durchsetzung von Rechten steht und fällt mit der Zulässigkeit des Geschäftsmodells. Auch Angebote, die überhaupt keinen Bezug zur Forderungsdurchsetzung haben, wie beispielsweise Vertragsgeneratoren, fordern den derzeitigen Regulierungsrahmen heraus.

Deutschland läuft Gefahr, von den Rechtsmärkten in den USA und Großbritannien abgehängt zu werden, weil dort bereits gezielt Freiräume für neue juristische Beratungsmodelle geschaffen wurden. Laut der Studie “Legal Technology” von AGC Partners aus dem April 2017 wurden seit 2012 in den USA rund 750 Mio. USD in Legal Tech investiert, auch weil die hier beschriebenen Geschäftsmodelle über die erforderliche regulatorische Sicherheit verfügen (Legalzoom: 100 Millionen US-Dollar, zuletzt finanziert mit weiteren 500 Millionen US-Dollar im Juli 2018, Avvo 132 Millionen US-Dollar, Rocket Lawyer 72 Millionen US-Dollar und zuletzt United Lex mit einer 500 Mio. US-Dollar Investition von CVC). Zum Vergleich: Die drei größten Investments aus der jüngeren Zeit in Deutschland waren der Erwerb von Flightright durch Medienunion (Transaktionssumme unbekannt) sowie die Finanzierungsrunden der deutschen Anbieter Advocado (2018), wenigermiete.de/Lex Fox (2019) und rightmart/Atornix (2019), die nach Marktangaben jeweils unter 10 Millionen Euro lagen. Auch in Großbritannien ist der Markt deutlich stärker entwickelt, zumal der Legal Services Act bereits im Jahr 2007 den Rechtsrahmen der Kanzleien stark liberalisiert hat (Beteiligungsrecht für Nichtanwälte; Börsengänge für Anwaltskanzleien etc.). Der geographische Online-Überblick “CodeX LegalTech” der Stanford Universität weist die USA als klaren Weltmarktführer und Großbritannien als europäische Nummer 1 aus.

II. Zum Entwurf des BMJV

Das BMJV hat einen Entwurf vorgelegt, mit dem verbrauchergerechte Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt gefördert werden sollen. Einige Ansätze des Referentenentwurfs begrüßt der Verband. Nach den Plänen des Bundesjustizministeriums sollen Legal Tech Anbieter mit Inkassolizenz in Zukunft Verbraucherinnen und Verbraucher darüber aufklären müssen, wie sich ein Erfolgshonorar zusammensetzt und was das für sie bedeutet. Auch Prozessfinanzierung und Vergleichsschlüsse müssen erläutert werden. Lehnt ein Anbieter ein Mandat ab, muss er darauf hinweisen, dass es noch andere Möglichkeiten gibt, den Anspruch durchzusetzen. Die Informationspflichten der Anbieter zu ihren Geschäftsmodellen auszuweiten, sehen wir als Schritt nach vorn. Das gilt auch für den Ansatz, im Zuge der Registrierung nicht-anwaltlicher Anbieter durch eine Prüfung der Geschäftsmodelle mehr Rechtssicherheit für ihre Aktivität und damit auch für die Empfänger von rechtlicher Beratung zu schaffen. Mit diesen Ansätzen wird die Tür zu einer vielfältigen Struktur von Rechtsberatung geöffnet, in der Verbraucher zwischen verschiedenen anwaltlichen und nicht-anwaltlichen Angeboten auswählen können – je nachdem, was sie brauchen.

Mit dem Entwurf bewegt sich das BMJV allerdings zu zaghaft in die Richtung einer Liberalisierung des Marktes für außergerichtliche Rechtsdienstleistungen und lässt wesentliche Aspekte ungeregelt, auf die wir im Folgenden hinweisen.

Der Verband fordert die Schaffung eines neuen RDG-Erlaubnistatbestandes für außergerichtliche Rechtsberatung, mit der im außergerichtlichen Bereich niederschwellige Rechtsberatungsangebote geschaffen werden können, die durch die bewährten Regelungsmechanismen des RDG abgesichert werden. Der Verband setzt sich außerdem dafür ein, Rechtsanwälte von den Zwängen des anwaltlichen Vergütungsrechts zu befreien und für ein gerechtes Wettbewerbsverhältnis zwischen Kanzleien und Legal Tech Unternehmen zu sorgen, indem das Verbot der Kostenübernahme und der Vereinbarung von Erfolgshonoraren für Anwälte vollständig aufgehoben wird. Im Bereich der Inkassodienstleistungen sind Klarstellungen erforderlich, um Rechtsunsicherheiten zu bereinigen. Dies Betrifft die Reichweite erlaubter Tätigkeiten unter einer Inkassoerlaubnis (Zulässigkeit von Prozessfinanzierung und Forderungsbündelung; Einziehung gegenwärtiger und zukünftiger Forderungen; Unbeachtlichkeit der Erfolgsaussichten der Forderungseinziehung für die Zulässigkeit von Inkasso). Angesicht der zunehmend automatisierten Leistungserbringung ist weiterhin eine Klarstellung erforderlich, dass auch ganz- oder teilweise automatisiert erbrachte Rechtsdienstleistungsangebote Rechtsdienstleistungen sind und sich die Befugnisse der qualifizierten Person auch auf diese Angebotsformen erstrecken.

1. Schaffung eines neuen RDG-Erlaubnistatbestandes für “außergerichtliche Rechtsberatung”

Der Verband setzt sich für die Schaffung eines neuen RDG-Erlaubnistatbestands “außergerichtliche Rechtsberatung” ein, der Rechtsdienstleistungen in sämtlichen Gebieten des Rechts umfasst, soweit diese nicht Anwälten vorbehalten sind.

Angebote wie Vertragsgeneratoren, die sich auf der Grenze der gesetzlichen Definition der Rechtsdienstleistung bewegen (OLG Köln Smartlaw 2020), werfen ein Schlaglicht auf das Spannungsverhältnis zwischen dem aktuellen Rechtsrahmen und dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach niedrigschwelligen und kostengünstigen Angeboten, die den Zugang zum Recht erleichtern.

Mit der Einführung des Tatbestands können auch die Schwierigkeiten überwunden werden, die sich bei der Überdehnung des Inkassodienstleister-Status durch Legal Tech Beratungsmodelle ergeben haben. Die nicht-anwaltlichen Akteure, die mit Forderungen von Mandanten arbeiten, sind in den vergangenen Jahren auf den Status des Inkassodienstleisters ausgewichen, weil er die einzige relevante Alternative zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen außerhalb von Kanzleien darstellt. Die Aktivitäten gehen über die eigentliche Durchsetzung von Forderungen hinaus, weil sie auch die Frage ihrer Entstehung, Finanzierung und strategischen Durchsetzung umfassen, und damit ein volles Beratungsangebot darstellen. Der Bundesgerichtshof hat in der wenigermiete.de Entscheidung vom November 2019 zwar die Kombination aus Forderungsdurchsetzung und Prozessfinanzierung als „noch” vereinbar mit dem Inkasso-Status bezeichnet. Das Urteil hat aber auch eine Reihe von Fragen aufgeworfen, die Rechtsunsicherheit verursacht haben (etwa bei der Frage, ob Legal Tech Anbieter wie myright Forderungen im Lkw-Kartell oder Diesel-Komplex über ein Abtretungsmodell im Wege der Inkassozession prozessual bündeln dürfen, wie weit ihre Verpflichtungen gegenüber externen Finanzierern gehen dürfen und wie die vertraglichen Möglichkeiten der Durchsetzung von Vergleichen auch gegenüber Mandanten ausgestaltet werden können; dazu LG München I, Endurteil vom 7.2.2020 – 37 O 18934/1; LG Hannover, Urteil v. 4.5.2020 − 18 O 50/16 “Zuckerkartell” (Kaufland); LG Ingolstadt (4. Zivilkammer), Endurteil vom 07.08.2020 – 41 O 1745/18; LG Braunschweig (11. Zivilkammer), Urteil vom 24.04.2020 – 11 O 3092/19). Hier wird Rechtssicherheit benötigt, die es insbesondere bei der Kombination zwischen Forderungsdurchsetzung und Prozessfinanzierung nicht gibt.

Rechtsanwälten sollen gerichtliche Auseinandersetzungen vorbehalten bleiben. Und Rechtsakte, die nach deutschem Recht ohnehin einer bestimmten Form unterliegen (z.B: Notarform beim Grundstückskauf, Scheidung durch Urteil etc.) und damit dem Schutz von Verbrauchern dienen, sind der außergerichtlichen Rechtsberatung ohnehin entzogen. Vertragsgeneratoren und individuelle vertragliche Beratung sind hingegen vom geforderten Erlaubnistatbestand erfasst. Damit werden zwei Ziele erreicht. Damit liberalisieren und regulieren wir innerhalb des geltenden Rechtsrahmens die außergerichtliche Beratung. Sie muss nicht Anwälten vorbehalten sein, sondern kann auch für andere Anbieter von Rechtsberatung geöffnet werden (z.B. Legal Tech Unternehmen, Rechtsschutzversicherer oder Anbieter von Vertragsgeneratoren) und findet auch schon statt, allerdings bisher nicht in regulierter Form (zum Beispiel Online-Streitbeilegung bei Paypal, Moria).

Die erforderlichen Änderungen im RDG könnten wie folgt lauten (Einfügungen hervorgehoben):

Ҥ 10 Rechtsdienstleistungen aufgrund besonderer Sachkunde

(1) Natürliche und juristische Personen sowie Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, die bei der zuständigen Behörde registriert sind (registrierte Personen), dürfen aufgrund besonderer Sachkunde Rechtsdienstleistungen in folgenden Bereichen erbringen:

  1. Inkassodienstleistungen (§ 2 Abs. 2 Satz 1),

1a.       Rechtsdienstleistungen in sämtlichen Gebieten des Rechts, soweit diese nicht Rechtsanwälten vorbehalten sind (außergerichtliche Rechtsberatung),

2.          Rentenberatung auf dem Gebiet der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung, des sozialen Entschädigungsrechts, des übrigen Sozialversicherungs- und Schwerbehindertenrechts mit Bezug zu einer gesetzlichen Rente sowie der betrieblichen und berufsständischen Versorgung,

[…]

(3) Die Registrierung kann, wenn dies zum Schutz der Rechtsuchenden oder des Rechtsverkehrs erforderlich ist, von Bedingungen abhängig gemacht oder mit Auflagen verbunden werden. Im Bereich der Inkassodienstleistungen und der außergerichtlichen Rechtsberatung soll die Auflage angeordnet werden, fremde Gelder unverzüglich an eine empfangsberechtigte Person weiterzuleiten oder auf ein gesondertes Konto einzuzahlen. Auflagen können jederzeit angeordnet oder geändert werden. Ist die Registrierung auf einen Teilbereich beschränkt, muss der Umfang der beruflichen Tätigkeit den Rechtsuchenden gegenüber eindeutig angegeben werden.

§ 11 Besondere Sachkunde, Berufsbezeichnungen

(1) Inkassodienstleistungen erfordern besondere Sachkunde in den für die beantragte Inkassotätigkeit bedeutsamen Gebieten des Rechts, insbesondere des Bürgerlichen Rechts, des Handels-, Wertpapier- und Gesellschaftsrechts, des Zivilprozessrechts einschließlich des Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrechts sowie des Kostenrechts.

(1a) Außergerichtliche Rechtsberatung erfordert besondere Sachkunde in den für die beantragte Tätigkeit bedeutsamen Gebieten des Rechts.

(2) […]”

Der neue Rechtsdienstleistungstypus der “außergerichtlichen Rechtsberatung” sollte – wenn auch mit verschärften Anforderungen im Hinblick auf die erforderliche Sachkunde in der RDV – dem bewährten Regulierungsrahmen des RDG für Inkassodienstleister folgen. Insbesondere bei den Vorgaben zum versicherungsrechtlichen Haftungsschutz und zu Interessenkonflikten kann auf das Regelungsregime zurückgegriffen werden, das im RDG bereits angelegt ist. Allerdings sind höhere Anforderungen an den Nachweis der Sachkunde zu stellen, als es bisher für Inkassodienstleister der Fall ist, um die Qualität der Rechtsberatung außerhalb des Kernbereichs der Forderungsdurchsetzung zu gewährleisten.

Alternativ regen wir an, die Einrichtung sogenannter Reallabore zu ermöglichen: Damit könnte der Gesetzgeber zulassen, dass im Rechtsmarkt – wie schon heute in anderen streng regulierten Branchen national und international, unter anderem bei Finanzdienstleistungen, im Luftverkehr oder bei den Heilberufen – Geschäftsmodelle, die nach geltendem Recht nicht zugelassen sind oder sich in Graubereichen bewegen, unter Aufsicht erprobt werden können. Hierzu hat zuletzt der Europäische Rat unter der Präsidentschaft Deutschlands Schlussfolgerungen veröffentlicht, die den Rechtsmarkt als Beispiel für Reallabore erwähnen, vgl. Schlussfolgerungen des Rates zu Reallaboren und Experimentierklauseln als Instrumente für einen innovationsfreundlichen, zukunftssicheren und resilienten Rechtsrahmen zur Bewältigung disruptiver Herausforderungen im digitalen Zeitalter (Az. 13026/20), https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-13026-2020-INIT/de/pdf.

2. Befreiung der Rechtsanwälte von den Einschränkungen des anwaltlichen Vergütungsrechts

Der Referentenentwurf sieht eine begrenzte Öffnung des anwaltlichen Vergütungsrechts für Rechtsanwälte vor. Die vorgeschlagenen Regelungen sind jedoch nicht hinreichend geeignet, der Ungleichbehandlung zwischen Rechtsanwälten und Rechtsdienstleistern bei der Ausgestaltung ihrer Vergütungsmodelle zu begegnen. Nur eine vollständige Gleichstellung von Rechtsdienstleistern und Rechtsanwälten bei der Vergütung von Rechtsdienstleistungen ermöglicht es, die regulatorischen Asymmetrien und die damit verbundenen Wettbewerbsnachteile, denen nur die Rechtsanwälte unterliegen, auszuräumen.

Seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs zu wenigermiete.de vom November 2019 steht fest, dass Legal Tech Anbieter, die als Inkassodienstleister operieren und unmittelbar mit Anwaltskanzleien konkurrieren, keinen Beschränkungen mit Blick auf Vergütungsmodelle gegenüber Mandanten unterliegen (Erfolgshonorar, Provisionen, Prozessfinanzierung und Aufnahme von Fremdkapital). Sie operieren häufig im selben Markt wie Anwälte, haben jedoch völlig andere wirtschaftliche Voraussetzungen. Diese Schieflage stellt eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung dar, die Anwälte nicht hinnehmen müssen. Die sich daraus ergebenden Nachteile für Kanzleien sorgen dafür, dass insbesondere für Verbraucher attraktive Angebote regelmäßig außerhalb von Rechtsanwaltskanzleien entstehen und Anwälten damit große Teile der Wertschöpfung vorenthalten werden.

Die im Referentenentwurf vorgesehene Öffnung ist zu zaghaft und verwehrt Rechtsanwälten wegen der Streitwertgrenze von EUR 2.000 unverständlicherweise den Zugriff auf wirtschaftlich attraktive Mandate. Gerade bei Streitwerten bis EUR 2.000 ist das Prozesskostenrisiko unverhältnismäßig groß und damit die Prozessfinanzierung in vielen Bereichen unattraktiv, zumal die Streitwertbestimmung aus Anwaltssicht stets mit Unsicherheit verbunden ist und oft erst nachträglich durch ein Gericht geklärt wird. Außerdem torpediert das BMJV mit der Streitwertbegrenzung sein eigenes Vorhaben, eine Gleichbehandlung zwischen Anwälten und nicht-anwaltlichen Anbietern zu erreichen (“Kohärenzgebot”). Denn Legal Techs dürfen – anders als Anwälte – auch bei gerichtlichen Auseinandersetzungen ohne eine Streitwertbegrenzung als Prozessfinanzierer auftreten und ausgerechnet dort Anwälte für ihr eigenes Geschäft einsetzen. Warum traut der Referentenentwurf Anwälten weniger Professionalität im Umgang mit Prozessfinanzierung zu als Inkassodienstleistern?

Der Verband ist der Auffassung, dass diese Ungleichbehandlung nur durch eine vollständige Streichung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren und der Kostenübernahme aufgelöst werden kann.

3. Klarstellung der Reichweite von “Inkasso”

Der Referentenentwurf lässt die Definition von Inkasso unberührt. Der Verband sieht jedoch das Bedürfnis, im Bereich des Inkassos die dargelegten Rechtsunsicherheiten aus der Welt zu schaffen. Es sollte klargestellt werden, dass sowohl “gegenwärtige als auch zukünftige Forderungen” von Inkasso umfasst sind; außerdem, dass die Bündelung von Forderungen zu deren Durchsetzung im Rahmen von Inkasso zulässig ist; und schließlich, dass die Erfolgsaussichten der außergerichtlichen Forderungsdurchsetzung für die Zulässigkeit der Rechtsdienstleistung unbeachtlich sind. Damit wird ein konsistentes System der nicht-anwaltlichen Beratung zu Geldforderungen geschaffen und der Flickenteppich des wenigermiete.de-Urteils überwunden.

Eine Anpassung von § 2 Abs. 2 RDG könnte lauten (Einfügungen hervorgehoben):

“(2) Rechtsdienstleistung ist, unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1, die Einziehung gegenwärtiger oder zukünftiger fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird (Inkassodienstleistung). Abgetretene Forderungen gelten für den bisherigen Gläubiger nicht als fremd. Mehrere Forderungen desselben Forderungsinhabers gegen denselben Forderungsgegner oder mehrere Forderungen verschiedener Forderungsinhaber gegen denselben Forderungsgegner, können, auch wenn sie auf verschiedenen Gründen beruhen, verbunden werden und gegen den Forderungsgegner zusammen geltend gemacht werden. Für die Annahme einer Rechtsdienstleistung nach diesem Absatz sind die Erfolgsaussichten der außergerichtlichen Forderungsabwicklung unbeachtlich.”

4. Klarstellung der Rechtsfolgen von RDG-Verstößen zum Verbraucherschutz

Werden Legal Tech Unternehmen einer offiziellen Prüfung unterzogen, schafft das Vertrauen gegenüber Nutzerinnen und Nutzern. Der Referentenentwurf schlägt vor, Auseinandersetzungen über die Rechtmäßigkeit zu minimieren, indem die Geschäftsmodelle der Legal Tech- und anderer nicht-anwaltlicher Anbieter durch die RDG-Aufsicht der Justizverwaltung – anders als bisher – rechtlich geprüft werden können, um damit Druck aus den gerichtlichen Auseinandersetzungen um die Geschäftsmodelle zu nehmen. Bislang ist die RDG-Aufsicht auf die Prüfung weniger formaler Anforderungen beschränkt (Zuverlässigkeit, Haftpflichtversicherung, Ausbildung), darf aber Geschäftsmodelle nicht materiell prüfen. Der Ansatz, die zivilrechtlichen Auseinandersetzungen bei der Durchsetzung der Forderungen damit zu entlasten, ist richtig. Allerdings braucht es eine stärkere gesetzestechnische Verzahnung der Entscheidung der RDG-Aufsicht mit den Aufklärungspflichten der Anbieter, als dies bislang im Referentenentwurf verwirklicht ist (hier ist nur von “Nebenpflichten” die Rede, und der Begriff einer “Tatbestandswirkung” der RDG-Registrierung taucht im Referentenentwurf überhaupt nicht auf). Außerdem müssen die RDG-Aufsichtsstrukturen (also insbesondere die Justizverwaltung) vereinheitlicht und mit Ressourcen und rechtlichen sowie technischen Know how gestärkt werden, damit sie diese Aufgabe erfüllen können.

Das Gesetz sollte aber auch darüber hinaus stärker die Interessen von Verbrauchern schützen. Verstöße von Rechtsdienstleitstern gegen das RDG dürfen für Verbraucher nicht so gravierende Folgen wie den totalen Rechts- bzw. Prozessverlust nach sich ziehen. Die vom Bundesgerichtshof in der Entscheidung zu wenigermiete.de entwickelte Formel, dass nur “eindeutige und nicht nur geringfügige” Verstöße gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts zur Folge haben sollen (§ 134 BGB), führt zu Auslegungsschwierigkeiten und belastet im Ergebnis den Verbraucher mit dem Risiko, dass Rechtsdienstleistungsangebote unter Verletzung der Bestimmungen des RDG erbracht werden. Verbraucher können häufig nicht beurteilen, ob sich ein registrierter Rechtsdienstleister innerhalb der Grenzen des Rechtsdienstleistungsgesetzes bewegt oder nicht. Wenn sich Geschäftsmodelle nach der Registrierung ändern oder sich der Vorwurf des RDG-Verstoßes auf die konkrete Anwendung einzelner AGB bezieht, könnte auch die Tatbestandswirkung des Zulassungsverfahrens die Verbraucher nicht hinreichend schützen.

Dieses Problem lässt sich aber durch die gesetzgeberische Klarstellung lösen, dass RDG-Verstöße nicht zur Nichtigkeit der Forderungsabtretung oder zum Verlust der Aktivlegitimation im Prozess führen. Eine entsprechende Neuregelung sollte lauten:

§ 13f Rechtsfolgen von Verstößen

(1) Verstöße registrierter Personen gegen dieses Gesetz lassen die Wirksamkeit etwaiger Abtretungen von Rechtsuchenden an die registrierte Person im Zusammenhang mit dessen Tätigkeit für den Rechtsuchenden unberührt. Das gleiche gilt für die Aktivlegitimation der registrierten Person.

(2) Eine Anrechnung erbrachter Leistungen findet bei der Rückabwicklung nichtiger Verträge nicht statt. Der Einwand der Entreicherung ist ausgeschlossen.

Hierdurch wird verhindert, dass etwa Verbraucherforderungen untergehen (zum Beispiel wegen Verjährung). Gleichzeitig kann man vermeiden, dass registrierte Anbieter von Verstößen profitieren. Daher bleibt die Nichtigkeit der Beauftragung selbst, und der damit gegebenenfalls einhergehende Verlust von Vergütungsansprüchen, durchaus möglich.

5. Zulässigkeit der Kombination von Prozessfinanzierung und Rechtsdienstleistung

Die Übernahme von Kostenrisiken durch den Rechtsdienstleister und die Vereinbarung einer erfolgsabhängigen Vergütung sind wichtige und legitime Elemente eines verbraucherfreundlichen Rechtsmarktes. Sogenannte “no win, no fee-Modelle” helfen Verbrauchern über ein zentrales Hemmnis der Inanspruchnahme von Rechtsdienstleistungen hinweg, schaffen gegenüber wirtschaftlich übermächtigen Gegnern Waffengleichheit und tragen dadurch in erheblichem Umfang dazu bei, den Zugang zum Recht zu verbessern bzw. überhaupt erst zu ermöglichen.

Die Übernahme von Kostenrisiken ist jedoch in der Instanzrechtsprechung auf Kritik gestoßen und wird mit dem Argument angegriffen, dass die gleichzeitige Erbringung von Rechtsdienstleistungen und die Übernahme von Kostenrisiken einen Interessenkonflikt im Sinne des § 4 RDG begründen kann.

Der Verband ist der Auffassung, es muss klargestellt werden, dass eine solche Vertragsabrede keinen Interessenkonflikt begründet, solange die Interessen des einzelnen Rechtsuchenden angemessen berücksichtigt werden.

Eine entsprechende Klarstellung in § 4 RDG sollte lauten (Einfügungen hervorgehoben):

§ 4 Unvereinbarkeit mit einer anderen Leistungspflicht

Rechtsdienstleistungen, die unmittelbaren Einfluss auf die Erfüllung einer anderen Leistungspflicht haben können, dürfen nicht erbracht werden, wenn hierdurch die ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung gefährdet wird. Die Übernahme von Kosten, die Vereinbarung eines Erfolgshonorars und die gemeinsame Geltendmachung oder Abwehr von Forderungen mehrerer Forderungsinhaber gelten nicht als Gefährdung der ordnungsgemäßen Erbringung der Rechtsdienstleistung, solange die Interessen des einzelnen Rechtsuchenden angemessen berücksichtigt werden.

6. Automatisierte Rechtsdienstleistungen

Der Mehrwert von Legal Tech Geschäftsmodellen liegt vielfach darin, dass Rechtsdienstleistungsangebote ganz oder teilweise automatisiert erbracht werden. Der Verband sieht in zweierlei Hinsicht den Bedarf, den zunehmenden Grad der Automatisierung von Rechtsdienstleistungen in den Regelungen des Rechtsdienstleistungsgesetzes zu reflektieren:

Die Definition der Rechtsdienstleistung in § 2 Abs. 1 RDG verhält sich nicht zu automatisierten Angebotsformen. Es ist jedoch denkbar, dass die Zulässigkeit stark technisierter Angebote mit dem Argument angegriffen wird, dass die für die Einzelfallprüfung im Sinne des § 2 Abs. 1 RDG erforderliche Subsumtion nur durch Menschen erbracht werden könne. Um dieser Gefahr zu begegnen, sollte die Zulässigkeit automatisierter Rechtsdienstleistungen durch den Gesetzgeber klargestellt werden.

Ein entsprechend neu einzufügender § 2 Abs. 4 RDG könnte lauten (Einfügungen hervorgehoben):

(4) Eine vollständige oder teilweise Automatisierung steht der Annahme einer Rechtsdienstleistung nicht entgegen.

Darüber hinaus sollte im Rechtsdienstleistungsgesetz klargestellt werden, dass sich die Befugnisse der qualifizierten Person sowie deren unabhängige Stellung auch auf automatisierte Rechtsdienstleistungen erstreckt.

Dafür könnte § 12 Abs. 4 RDG wie folgt angepasst werden (Einfügungen hervorgehoben):

“(4) Juristische Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit müssen mindestens eine natürliche Person benennen, die alle nach Absatz 1 Nr. 1, 1a und 2 erforderlichen Voraussetzungen erfüllt (qualifizierte Person). Die qualifizierte Person muss in dem Unternehmen dauerhaft beschäftigt, in allen Angelegenheiten, die Rechtsdienstleistungen des Unternehmens betreffen, einschließlich der Rechtsdienstleistung nach § 2 Absatz 4, weisungsunabhängig und weisungsbefugt sowie zur Vertretung nach außen berechtigt sein. Registrierte Einzelpersonen können qualifizierte Personen benennen.”