Stellungnahme von Dr. Philipp Plog im Rahmen der Sachverständigenanhörung am 5. Mai 2021 im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages

Der Legal Tech Verband existiert erst seit dem vergangenen Jahr, bringt aber bereits eine Reihe unterschiedlicher Marktakteure zusammen, die der Wunsch nach einer fairen und vernünftigen Öffnung des Rechtsmarktes verbindet (u.a. Flightright, RightNow, advocado, Allianz, ARAG, Soldan, myRight, Klugo, rightmart, Advocard, helpcheck, Jurpartner, Fieldfisher und viele andere) – es sind vor allem Anwaltskanzleien, Rechtsschutzversicherer, Inkassodienstleister, Anwaltsvermittlungsplattformen, Anbieter von Vertragsgeneratoren sowie Software- und Medienunternehmen. Es ist der einzige Verband in Deutschland, der Akteure des Rechtsmarktes unabhängig von ihrer Berufssparte zusammenbringt, um das enorme Potenzial von Technologie für die Weiterentwicklung von Rechtsberatung einzusetzen. Gerade die Mitglieder des Legal Tech Verbands haben in einigen Rechtsgebieten den Zugang zum Recht maßgeblich verbessert.

DAS REFORMPROJEKT DER BUNDESREGIERUNG FÜR DEN BEREICH LEGAL TECH

Der Verband unterstützt das Reformvorhaben der Bundesregierung. Sie möchte im Rechtsdienstleistungsgesetz, der Bundesrechtsanwaltsordnung und dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz die Leitplanken ein faires Spielfeld zwischen den unterschiedlichen Anbietern von Rechtsdienstleistungen etablieren.

Der Verband hat in der Stellungnahme zum Referentenentwurf vom 7. Dezember 2020 noch sehr viel weiter reichende Maßnahmen zur Öffnung des Rechtsmarktes gefordert. Aber auch im aktuellen Reformpaket finden sich elementare Fortschritte (dazu die Stellungnahme vom 6. Januar 2021), die es jetzt umzusetzen gilt – und die in künftigen Reformen weiter entwickelt werden können (dazu die Stellungnahme vom 24. März 2021).

MEHR RECHTSSICHERHEIT FÜR NICHT-ANWALTLICHE ANBIETER, MEHR FREIHEIT FÜR ANWÄLTE

Die Reform bringt eine dringende Verbesserung der Rechtssicherheit für Legal Tech Angebote, die als Inkassodienstleister operieren. Einige Instanzgerichte hatten zuletzt im LKW-Kartell, bei Diesel-Klagen, im Zucker-Kartell und in anderen zivilrechtlichen Auseinandersetzungen Anbietern wie myRight, Cartel Damage Claims und financialright das Recht verweigert, die Ansprüche der Geschädigten im eigenen Namen geltend zu machen.

Die Abtretung der Ansprüche wurde von diesen Instanzgerichten als unwirksam bewertet, weil sie auf einem „nicht inkassotypischen Geschäftsmodell“ beruhten. Zahlreiche Geschädigte stehen jetzt vor dem Nichts, obwohl sie Forderungen auf registrierte und zugelassene Anbieter übertragen haben. Der Gesetzentwurf stellt endlich klar, dass Ansprüche von Geschädigten gebündelt und finanziert werden dürfen, und dass diese Geschäftsmodelle nicht auf die außergerichtliche Durchsetzung von Forderungen beschränkt werden dürfen. Dieser Teil der Reform ist absolut unentbehrlich, weil sonst hunderte von Unternehmen und tausende von deutschen Verbrauchern ihre Ansprüche verlieren. Aus demselben Grund ist es aber auch dringend erforderlich, den Gesetzentwurf um einen Punkt ergänzen. Es muss klar sein, dass ein künftiger rechtlicher Mangel eines Geschäftsmodells – zum Beispiel die Überschreitung der Beratungsbefugnis als Inkassodienstleister – nicht automatisch die Forderungen seiner Kunden gefährdet (dazu folgt ein Formulierungsvorschlag in dieser Stellungnahme).

Ein zweiter wichtiger Punkt des Gesetzentwurfs ist die Einführung von Erfolgshonoraren für Anwälte. Sie bekommen die Möglichkeit, Erfolgshonorare und Prozessfinanzierung bis 2000 Euro Streitwert bei gerichtlichen Verfahren und unbegrenzt im außergerichtlichen Bereich anzubieten. Das ist ein erster Schritt, um den Anwälten in Deutschland mehr Gestaltungsfreiheit zu verschaffen. Denn oft verhindern die starren anwaltlichen Vergütungsregeln eine vernünftige Lösung für der Kostenrisiken der Mandanten. Deshalb befürwortet der Verband die Einführung von Erfolgshonoraren. Weitere Schritte werden jedoch notwendig sein.

BÜNDELUNG VON ANSPRÜCHEN UND PROZESSKOSTENFINANZIERUNG

Der erleichterte Zugang zu Rechtsberatung ist der zentrale gesellschaftliche Fortschritt, den Legal Tech verkörpert: Viele Verbraucher, aber auch viele Unternehmen machen ihre Schadenersatzansprüche gar nicht erst geltend, wenn sie diese alleine durchsetzen müssten. Sie scheuen zu Recht das Kostenrisiko und die ungewissen Erfolgsaussichten („rationales Desinteresse“, vgl. zum Beispiel EU-Kommission, Study on the current level of protection of air passenger rights in the EU“, MOVE/B5/2018 – 541, Seite vii). Während in der Vergangenheit die Rechtspraxis häufig von einer “David-gegen-Goliath-Situation” geprägt war, können die Geschädigten durch die Bündelung ihrer Ansprüche auf Augenhöhe mit den Anspruchsgegnern (Kartellanten, Kraftahrzeugherstellern, Vermietern etc.) agieren. Sie profitieren von der Expertise der Rechtsdienstleister, die zahlreiche Fälle bündeln und Verhandlungsmacht schaffen. Gerade der Einsatz von Software und die damit verbundene Auswertung von Daten ist dafür elementar.

In diese Rechtsschutzlücke stoßen Legal Tech-Angebote und andere Anbieter wie Flightright, wenigermiete.de, die Deutsche Bahn, myRight oder Cartel Damages Claims mit Provisionsmodellen. Für einen Entschädigungsanspruch in Höhe von 250 Euro wegen eines verspäteten Fluges zieht kein Betroffener bis vor den Bundesgerichtshof. Denn sein Prozesskostenrisiko in der ersten Instanz liegt über 500 Euro – das sind die Kosten, die er im Falle der Niederlage für Anwälte auf beiden Seiten und für das Gericht aufbringen müsste. Flightright hat mit solchen Modellen ca. 180.000 Urteile vor deutschen Amtsgerichten zu Gunsten von Fluggästen erstritten, und nebenbei die höchstrichterliche Rechtsprechung bei der Frage der “höheren Gewalt” von Flugverspätungen vorangetrieben, in acht EuGH-Verfahren (ECJ C-274/16, 32-16, 501-17, 532-17, 130-18, 274-16, 286-19 und 810-19) und weiteren acht BGH-Entscheidungen (BGH X ZR 78/15, 128/18, 165/18, 102/16, 106/16, 76/16, 12/18, 93/18, 43/18 und 123/17). Ähnliche Erfolge gibt es bei anderen Rechtsdienstleistern in anderen Rechtsgebieten, bei Verbrauchern wie auch für gewerbliche Anspruchsinhaber.

Es ist nur fair, dass Rechtsdienstleister im Falle eines gerichtlichen Erfolgs eine Provision von den Forderungsinhabern erhalten. Bei einem Anspruch in Höhe von 250 EUR und einer Erfolgsbeteiligung von 30 Prozent kommt es für den Anspruchsinhaber im Erfolgsfall – aber auch nur dann – zu einer Anspruchskürzung von 75 EUR. Das ist wirtschaftlich vernünftiger, als ein Prozesskostenrisiko von 500 Euro in Kauf zu nehmen.

In den vergangenen Jahren hat sich die Erkenntnis, dass Durchsetzungsdefizite bestehen, auch auf politischer Ebene verfestigt. Vor diesem Hintergrund wurden im Koalitionsvertrag Maßnahmen zur Verbesserung des Zugangs zum Recht für Verbraucher festgelegt. Hierzu zählt auch die Einführung einer Musterfeststellungsklage (Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode, S. 124 ff.). Aber dieses Instrument ist kein Allheilmittel für die weitreichenden Probleme bei der Rechtsdurchsetzung. Zum einen, weil sie nicht geeignet ist für ähnliche, aber eben nicht identische Sachverhaltskonstellationen (wie zum Beispiel bei der Mietpreisbremse, Flugverspätung, Lebensversicherung, Ordnungswidrigkeiten, Verkehrsunfall etc.); zum anderen, weil die Verbraucher in der zweiten Stufe dieses Verfahrens, wenn sie im Anschluss an die gerichtliche Feststellung auf Zahlung klagen müssen, finanziell auf sich allein gestellt bleiben.

Außerdem stehen weder die Musterfeststellungsklage noch die Verbraucherverbandsklage geschädigten Unternehmern zur Verfügung. Aber auch Unternehmen sind schutzbedürftig, wie die aktuellen Auseinandersetzungen im LKW-Kartell, im Zucker-Kartell oder im Rundholz-Kartell zeigen (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. März, “Kartellklagen gegen Daimler ausgeweitet”). Wenn die gebündelte Geltendmachung solcher Ansprüche vor deutschen Gerichten nicht mit Rechtssicherheit versehen werden, wandern sie – wie schon jetzt – mehr und mehr nach Holland und Großbritannien ab, wo sich deutsche Unternehmen sodann verteidigen müssen.

DIE GEFÄHRLICHE SITUATION DER LEGAL TECH ANBIETER IN DEUTSCHLAND 

Die deutschen Zivilgerichte lassen in jüngerer Zeit häufig die Geschäfts- und Vergütungsmodelle der Legal Tech Unternehmen scheitern. Sie argumentieren zu unterschiedlichsten Geschäftsmodellen, sie seien „nicht mehr inkassotypisch” (§ 3 RDG), weil sie sich nicht auf außergerichtliche Bemühungen zur Forderungsdurchsetzung beschränkten. Oder es wird behauptet, ein Anbieter unterliege schon wegen der Einbindung externer Prozessfinanzierer oder wegen der Bündelung unterschiedlicher Forderungen einem “Interessenkonflikt” (§ 4 RDG). Hier liegt das größte Problem bei der Aufarbeitung des Diesel-Komplexes, im LKW-Kartell, beim Zucker-Kartell und überhaupt in Auseinandersetzungen mit einer hohen Anzahl geschädigter Verbraucher oder Unternehmen in Deutschland (LG München I, Urteil vom 7. Februar 2020 – 37 O 18934/17; LG Augsburg, Urteil vom 27. Oktober 2020 – 11 O 3715/18; LG Hannover, Urteil vom 27.10.‌2020 – 11 O 3715/18; LG Ingolstadt, Urteil vom 07. August 2020 – 41 O 1745/18). Das Landgericht München hat zum Beispiel im LKW-Kartell die These aufgestellt, dass der Anbieter Financialright, der rund 3.500 geschädigte Unternehmen in Europa gegen eines der größten europäischen Kartelle aller Zeiten vertritt, einem “Interessenkonflikt” unterliege, weil er aufgrund der Bündelung von Ansprüchen “nicht effizient” arbeite (LG München I, a.a.O, S. 142 der Urteilsbegründung). Möglicherweise erscheint den Gerichten, die mit den Fallzahlen personell und organisatorisch an ihre Grenzen stossen, die Annahme eines vermeintlichen Konstruktionsfehlers manchmal als Ausweg, um Gerichtsverfahren schon an der Aktivlegitimation der Kläger – und ohne Rücksicht auf die einzelnen Forderungen – scheitern zu lassen.

Diese Rechtsprechung hat einen Flächenbrand in zahlreichen Rechtsgebieten geschaffen, weil viele Verbraucher und Unternehmer zuvor ihre Forderungen auf registrierte und zugelassene Rechtsdienstleister übertragen haben. Der Gesetzentwurf stellt jetzt endlich klar, dass Ansprüche von Geschädigten gebündelt und finanziert werden dürfen, und dass diese Geschäftsmodelle nicht auf die außergerichtliche Durchsetzung von Forderungen beschränkt sind. Wie stark die Stellung eines Prozessfinanzierers im Einzelfall sein darf, bleibt zu recht eine richterliche Frage des Einzelfalls. Die Rechtsklarheit, die der Gesetzentwurf herbeiführen würde, ist absolut elementar, um die aktuelle Rechtsunsicherheit – vor Allem für die zahlreichen Geschädigten – in den Griff zu bekommen. Deshalb ist dieser Reformschritt unverzichtbar.

RECHTSFOLGEN VON RDG-VERSTÖSSEN DER RECHTSBERATER BESCHRÄNKEN (§§ 4 RDG, 134 BGB UND 13 F ABSATZ 1 RDG-E) 

Es gibt aber eine Stellschraube, die noch nachgezogen werden muss. Der Gesetzentwurf sollte klarstellen, dass etwaige Mängel der Geschäftsmodelle nicht automatisch die Forderungen der Kunden gefährden. Denn RDG-Verstöße können nach der instanzgerichtlichen Rechtsprechung die Forderungen der Geschädigten im Bestand gefährden (§§ 3, 4 RDG, 134 BGB). Das bürdet vor allem Verbrauchern, die rechtliche Hilfe in Anspruch nehmen, das Risiko eines fremden Geschäftsmodells auf. Ihre Forderungen können zum Beispiel verjährt sein, wenn ein Zivilgericht im Verlauf des Instanzenzugs zur Einschätzung gelangt, das Geschäftsmodell sei angreifbar. Das hat dramatische Folgen für die Geschädigten: Scheitert im Nachhinein die Abtretung ihrer Ansprüche, so droht wegen Verjährung der wirtschaftliche Totalverlust für die betroffenen Verbraucher und Unternehmen.

Damit wird eine Schutzvorschrift für Verbraucher und Rechtsuchende – die Regelung zur Interessenkollision in § 4 RDG – in eine Schutzvorschrift für Kartellanten und andere Rechtsverletzer umgedeutet. Das kann nicht richtig sein. Es verstößt gegen das Abstraktionsprinzip, ist gerade auch im Fall des § 4 RDG unverhältnismäßig und kann die Eigentumsgarantie des Geschädigten aus Art. 14 GG verletzen (Stadler: Verbraucherschutz durch die erneute Reform des Rechtsdienstleistungsgesetzes? VuR 2021, 123, 126 f.; vgl. auch Grunewald, in: BeckOK RDG, Stand 01.04.2020, § 4 Rn. 31 m. w. N.; Morell, NJW 2019, 25742576 ff.; Skupin, GRUR-Prax 2020, 116). Allein myRight vertritt rund 35.000 Verbraucher, die Schadenersatz für den Kauf eines Autos mit Schadstoff-Software oder Thermofenster vor deutschen Gerichten begehren und nun – sozusagen über Nacht – von der Verjährung ihrer Ansprüche bedroht sind. Ebenso etwa die Unternehmen, die von – bereits behördlich festgestellten – Kartellen geschädigt wurden und nun wirtschaftlichen Ausgleich in sogenannten Follow-on-Verfahren verlangen (Zucker-Kartell: CDC ca. 300 Mio Euro, Kaufland ca. 15 Mio Euro Schadenersatz; LKW-Kartell: myRight ca. 900 Mio Euro, Elvis ca. 89 Mio Euro Schadenersatz, außerdem Deutsche Bahn und andere; Luftfrachtkartell: Deutsche Bahn ca. 3 Milliarden Euro Schadenersatz; Rundholz-Kartell: ca. 830 Mio Euro Schadenersatz von diversen Klägern –  alle Zahlen aus Marktdaten und gerundet).

So wird das Anliegen des Schutzes von Verbrauchern und geschädigten Unternehmen auf den Kopf gestellt. Die drastische Rechtsfolge ist unangemessen, denn „[die] Funktion der Inkassoerlaubnis, nach außen Klarheit im Rechtsverkehr zu schaffen, wäre gefährdet, wenn [unzulässige] Rechtsberatung die Nichtigkeit der Abtretung zur Folge haben könnte” (BVerfG in NJW 2002, S. 1190, 1192). Die Nichtigkeit ist aber auch unnötig, weil man die Auswirkungen etwaiger Defizite der Geschäftsmodelle auf die Vergütung der Anbieter von Rechtsdienstleistungen beschränken kann. Außerdem wird mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung jetzt ein verwaltungsrechtliches Instrumentarium für die Aufsichtsbehörden eingeführt, mit dem man die Anbieter von Rechtsberatung und deren Geschäftsmodelle in den Griff bekommen kann (§ 13 RDG-E).

FORMULIERUNGSVORSCHLAG FÜR DIE RECHTSFOLGEN VON RDG-VERSTÖSSEN 

Der Verband schlägt deshalb eine gesetzgeberische Klarstellung im dritten Abschnitt des RDG vor (zum Beispiel als neuer § 15 RDG), dass RDG-Verstöße (insbesondere wegen Interessenkollision nach § 4 RDG) nicht zur Nichtigkeit der Forderungsabtretung oder zum Verlust der Aktivlegitimation im Prozess führen. Die Formulierung lautet:

„(1) Verstöße registrierter Personen gegen dieses Gesetz lassen die Wirksamkeit etwaiger Abtretungen von Rechtsuchenden an die registrierte Person im Zusammenhang mit dessen Tätigkeit für den Rechtsuchenden unberührt. Das gleiche gilt für die Prozessführungsbefugnis und die Aktivlegitimation der registrierten Person.

(2) Eine Anrechnung der von der registrierten Person erbrachten Leistungen findet bei der Rückabwicklung nichtiger Verträge nicht statt. Der Einwand der Entreicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB der registrierten Person ist ausgeschlossen.”

Mit der Formulierung würde verhindert, dass Forderungen von Geschädigten untergehen (zum Beispiel wegen Verjährung). Gleichzeitig vermeidet die Formulierung aber auch, dass registrierte Anbieter von Verstößen gegen das RDG finanziell profitieren. Daher bleibt die Nichtigkeit der Beauftragung möglich (und mit ihr der Verlust von Vergütungsansprüchen des Anbieters).

Soweit die Informationspflichten gegenüber den Rechtssuchenden vom Anbieter ordnungsgemäß erfüllt werden, sollte ein Interessenkonflikt etwa wegen Vereinbarung eines Erfolgshonorars, Mitwirkung eines Prozessfinanzierers oder der Regelung zum Abschluss von Vergleichen ohnehin ausscheiden. Denn genau diese Leistungsmerkmale gelangen sowohl der Aufsichtsbehörde als auch dem Abnehmer der Leistung im Zuge der Mandatsanbahnung und der verwaltungsrechtlichen Prüfung des Geschäftsmodells („Registrierung”) zur Kenntnis (§ 13 Abs. 5 RDG-E), mit bindender Wirkung für spätere zivilrechtliche Auseinandersetzungen (“Tatbestandswirkung”, Ziffer II.2.c der Begründung des Gesetzentwurfs).

ERFOLGSHONORAR FÜR ANWÄLTE EINFÜHREN (§ 4A RVG-E)

Der Gesetzentwurf will die BRAO und das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz mit Blick auf das strikte Verbot von Erfolgshonoraren an dieser Stelle ein wenig öffnen. Anwälte sollen in außergerichtlichen Mandaten Erfolgshonorare und Prozessfinanzierung anbieten dürfen; und bei gerichtlichen Verfahren bis zu einer Streitwertgrenze von 2.000 Euro. Dies ist ein wichtiger Schritt, um das strikte Verbot für Anwälte, Risiken ihrer Mandanten zu teilen, aufzulockern und den Zugang der Mandanten zum Recht auf sinnvolle und überschaubare Weise zu verbessern. Es entsteht damit insbesondere im außergerichtlichen Bereich erstmals ein faires Spielfeld.

Denn im Moment gibt es eine Schieflage bei den unternehmerischen Gestaltungsmöglichkeiten im Markt der deutschen Rechtsdienstleistungen. Spätestens seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs zu wenigermiete.de vom November 2019 (Urteil v. 27.11., Az. VIII ZR 285/18) steht fest, dass Legal Tech-Anbieter, die als Inkassodienstleister operieren und unmittelbar mit Anwaltskanzleien konkurrieren, keinen Beschränkungen mit Blick auf Vergütungsmodelle (Erfolgshonorar, Provisionen, Prozessfinanzierung) und Aufnahme von Fremdkapital unterliegen. Sie operieren häufig im selben Markt wie Anwälte (Mietpreisbremse, Kündigungsschutz, Kartellschadensersatz, Flugverspätungen, Verkehrsunfallabwicklung, Hartz IV Widersprüche, etc.), haben jedoch völlig andere wirtschaftliche Voraussetzungen. Diese Schieflage bedeutet eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung, die Anwälte nicht hinnehmen müssen und die auch mit dem europarechtlichen Kohärenzgebot nicht vereinbar ist (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs, Abschnitt A.I und A.II.1.b: “Ungleichbehandlung” und “fehlende Kohärenz”; vgl. auch die Mitteilung der Europäischen Kommission über Reformempfehlungen für die Berufsreglementierung, COM(2016) 820 final, S. 23: “Bereitstellung von Dienstleistungen der Rechtsberatung durch andere Dienstleister, insbesondere für Online-Dienste, erleichter[n]”).

Aber auch für rechtssuchende Verbraucher und Unternehmen ist die aktuelle Rechtslage, die Anwälte sehr stark reglementiert, nicht akzeptabel. Mandanten, die nicht über eine Rechtsschutzversicherung verfügen, haben zur Zeit keine Möglichkeit, ein anwaltliches Angebot in Anspruch zu nehmen, ohne dabei ein wirtschaftliches Risiko einzugehen (kein „no win, no fee“-Angebot). Gerade die Gruppe der Anwälte, die als elementarer Grundpfeiler eines effektiven Rechtsstaates hohes Vertrauen gleichermaßen bei Verbrauchern und Unternehmen genießt, darf als Anbieter solcher Angebote am Rechtsmarkt nicht kategorisch ausgeschlossen werden. Der Schutz vor Interessenkollisionen, Beratungsfehlern und Schweigepflichtverstößen kann – wie heute schon – über das anwaltliche Berufsrecht erfolgen. Denn dort ist geregelt, was Anwälte tun dürfen und was ihrem Berufsethos widerspricht.

STELLUNGNAHME DES BUNDESRATS UND ERWIDERUNG DER BUNDESREGIERUNG

Trotzdem hat der Bundesrat am 5. März 2021 in einer Stellungnahme zum Gesetzesprojekt gefordert, anwaltliche Erfolgshonorare zu deckeln, die Prozessfinanzierung durch Inkassodienstleister zu erschweren und bestimmte Rechtsgebiete von der Abwicklung über diese Akteure völlig auszuschließen. Die Bundesregierung ist fast allen Forderungen des Bundesrats in einer Gegenäußerung vom 10. März 2021 überzeugend entgegengetreten. Sie hat dort, auch mit Blick auf ihren eigenen Gesetzentwurf vom 20. Januar 2021, klargestellt, dass Inkassodienstleister als Partei eines gerichtlichen Verfahrens auftreten können und das RDG dazu weder jetzt noch in Zukunft Beschränkungen vorsieht („Die Zulässigkeit gerichtlicher Aktivitäten von Inkassodienstleistern richtet sich ausschließlich nach der ZPO.“, Gegenäußerung der Bundesregierung vom 10. März 2021, S. 20 f.). Die Forderung des Bundesrates, „komplexe Rechtsmaterien“ gar nicht für Abtretungsmodelle zu gestatten (Kartellrecht, Naturschutzrecht, Anfechtungsklagen), bezeichnet die Bundesregierung zu Recht als falsch (Gegenäußerung der Bundesregierung vom 10. März 2021, S. 6). Denn was komplex ist, hängt vom konkreten Fall und Lebenssachverhalt ab, und auch nicht-anwaltliche Akteure haben in den vergangenen Jahren bewiesen, dass sie damit umgehen können. Das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof haben längst geklärt, dass Inkassodienstleister im Bereich der Forderungsdurchsetzung auch in rechtlich komplexen Fragen beraten dürfen (BVerfG NJW 2002, 1190; NJW-RR 2004, 1570; zuletzt BGH BeckRS 2019, 30591 Rn.116).

DEUTSCHLAND IM INTERNATIONALEN VERGLEICH 

Ein Scheitern des Gesetzentwurfs, wie es insbesondere von der Bundesrechtsanwaltskammer angestrebt wird, würde Deutschland weiter zurückwerfen im Vergleich mit Ländern, die – wie die USA, Großbritannien, aber auch die Schweiz und viele skandinavische Länder – bereits vor Jahren den Rechtsmarkt für eine Vielzahl von Anbietern geöffnet haben, und damit die Voraussetzungen für einfache und kostengünstige Beratungsangebote geschaffen haben, ohne dabei die Anwaltschaft zu destabilisieren oder zu schwächen (vgl. die Mitteilung der Europäischen Kommission über Reformempfehlungen für die Berufsreglementierung, COM(2016) 820 final).

Deutschland läuft Gefahr, von den Rechtsmärkten in den USA und Großbritannien abgehängt zu werden, weil dort gezielt Freiräume für neue juristische Beratungsmodelle geschaffen wurden. Laut der Studie “Legal Technology” von AGC Partners von April 2017 wurden seit 2012 in den USA rund 750 Mio. US Dollar in Legal Tech Unternehmungen investiert, auch weil die Geschäftsmodelle regulatorische Sicherheit haben (Legalzoom: 100 Millionen US-Dollar, zuletzt finanziert mit weiteren 500 Millionen US-Dollar im Juli 2018, Avvo 132 Millionen US-Dollar und Rocket Lawyer 72 Millionen US-Dollar). Und CVC investierte noch im Jahr 2018 rund 500 Mio. US-Dollar in UnitedLex. Zum Vergleich: Einige der größten Investments aus der jüngeren Zeit in Deutschland waren die Finanzierungsrunden der Anwaltsvermittlungsplattform advocado (4,5 Millionen Euro, 2018) sowie der Anbieter atornix (2019), Conny (2019), Legal OS (2019) und RightNow (2020), die jeweils unter zehn Millionen Euro lagen. Auch in Großbritannien ist der Markt deutlich stärker entwickelt als in Deutschland, zumal der Legal Services Act bereits im Jahr 2007 den Rechtsrahmen stark liberalisiert hat.

Deutschland hat zwar eine sehr lebendige und innovative, aber im Vergleich noch kleine Legal Tech-Szene und es braucht dringend einen rechtlichen Rahmen, der mehr Kräfte freisetzt und Investitionen fördert.