Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz – VRUG) vom 15. Februar 2023

Berlin, 3. März 2023

Der Legal Tech Verband Deutschland (im Folgenden “Verband”) setzt sich für die Gestaltung eines fortschrittlichen und innovationsfreundlichen regulatorischen Umfelds ein, das Rechtssicherheit für Legal Tech Unternehmungen innerhalb und außerhalb von Rechtsanwaltskanzleien schafft. Dabei orientiert sich der Verband an dem Ziel, Rechtsuchende, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen und den Rechtsstaat zu stärken. Wir bedanken uns für die Möglichkeit, zum Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums Stellung nehmen zu können.

I. Zusammenfassung

  1. Der Legal Tech Verband Deutschland fordert die Aufnahme einer Regelung, die es kommerziellen Prozessfinanzierern ermöglicht, einen Anteil des Klageerlöses zu erhalten. Entscheidend für den Praxis-Erfolg der neuen Abhilfeklage wird die Frage sein, inwieweit es den „qualifizierten Stellen“ als Initiatoren gelingt, Verbraucher:innen zu bewegen, sich den Klagen anzuschließen. Der vorliegende Entwurf geht damit an der Praxis vorbei.
  2. Die Einführung der Abhilfeklage soll es Verbrauchern erleichtern, ihre Ansprüche geltend zu machen und führt damit – wie auch die Legal Tech-Geschäftsmodelle, zu einem besseren Zugang zum Recht. Durch die Einbeziehung der Ansprüche von Kleinunternehmen, geht das BMJ an dieser Stelle sogar über die Forderungen der EU-Richtlinie hinaus und zeigt, dass es den Zugang zum Recht tatsächlich verbessern möchte. Dies begrüßen wir ausdrücklich.
  3. In Bezug auf die Aktivlegitimation stellt der Entwurf an inländische Verbände höhere Ansprüche als an ausländische Kläger, was den Rechtsstandort Deutschland schwächen wird. Der Legal Tech Verband Deutschland spricht sich dafür aus, die Kriterien zwischen nationalen und internationalen Klägerverbänden vollumfänglich zu harmonisieren.
  4. Das im Entwurf vorgesehene Opt-in-Verfahren stellt auf einen zu frühen Zeitpunkt zum Klagebeitritt ab. Der Legal Tech Verband fordert, Verbrauchern einen Klagebeitritt auch noch zu einem späteren Zeitpunkt zu ermöglichen, selbst nach einem Vergleich oder einem Urteil.
  5. Der Gesetzgeber sollte die Begrenzung des Streitwerts auf den Maximalwert von 500.000 EUR überdenken.
  6. Der Referentenentwurf bleibt im Ergebnis hinter der Marktentwicklung der letzten Jahre zurück. Es entsteht der Eindruck, dass sich nicht hinreichend mit den Regularien und faktischen Gegebenheiten des deutschen Rechtsmarkts auseinandergesetzt wurde.

II. Hintergrund

Grundlage des Referentenentwurfs ist die Ende 2020 in Kraft getretene Verbandsklagen-Richtlinie der EU (RL (EU) 2020/1828), welche der deutsche Gesetzgeber bis zum 25. Dezember 2022 in nationales Recht umsetzen muss. Die Richtlinie sieht vor, dass die Verbandsklage auf Abhilfe (im Folgenden „Abhilfeklage“) spätestens ab dem 25. Juni 2023 in Deutschland praktisch möglich sein muss.

  1. Massenverfahren in Deutschland

Damit schafft die Zivilprozessordnung künftig eine weitere Möglichkeit für gebündelte Klagen. Dass mehrere Kläger als sog. Streitgenossen in einem Prozess klagen können, ist aber nicht neu. Gebündelte Massenklagen sind z.B. im Rahmen der Musterfeststellungsklage oder durch ein „Abtretungs-Modell“ im Rahmen der “Sammel-Inkasso-Klage” bereits heute rechtlich möglich und praktisch an der Tagesordnung. Zweitere wird vornehmlich von Legal Tech-Unternehmen praktiziert und ist durch den BGH in mehreren Urteilen weitgehend rechtlich legitimiert worden. Das Modell der Massenklagen spielt damit eine immer wichtigere Rolle und bietet ein praxistaugliches “Tool” für die Anforderungen unserer heutigen Gesellschaft. Auch auf europäischer Ebene ist die Bedeutung von Massenklageverfahren erkannt worden und mit der diesem Referentenentwurf zugrunde liegenden Richtlinie nun ab Mitte 2023 für alle Mitgliedsländer verpflichtend. Nachbarländer wie Österreich und Niederlande sind dabei bereits weiter in ihrer Umsetzung als Deutschland und legen die durch die EU-Richtlinie geschaffenen Möglichkeiten für Massenklagen durchweg großzügig aus. Aus Sicht des Legal Tech Verbands sollte Deutschland im Hinblick auf die steigende Zahl von internationalen Rechtsstreitigkeiten hier keinesfalls zurückstehen. Eine Abwanderung von Klagen ins Ausland wäre die Folge, was den Rechtsstandort Deutschland jedenfalls mittelfristig schwächen würde. Denn die Anzahl der Massenverfahren wird in den kommenden Jahren sicher steigen. Zum einen “gewöhnen” sich Verbraucher zunehmend an die Möglichkeit, Ansprüche ohne eigenes finanzielles Risiko einzuklagen, zum anderen ermöglicht der technische Fortschritt eine einfachere Umsetzung von Massenverfahren.

  1. Verbesserung des Zugangs zum Recht

Die Einführung der Abhilfeklage soll es Verbrauchern jetzt erleichtern, ihre Ansprüche geltend zu machen und führt damit – wie auch die Legal Tech-Geschäftsmodelle – zu einem besseren Zugang zum Recht. Durch die Einbeziehung der Ansprüche von Kleinunternehmen geht das BMJ an dieser Stelle sogar über die Forderungen der EU-Richtlinie hinaus und zeigt, dass es den Zugang zum Recht tatsächlich verbessern möchte. Dies begrüßen wir ausdrücklich. Das Risiko der beklagten Unternehmen, im Fall eines Massenschadens nicht nur von einer Vielzahl von einzelnen Klägern in Anspruch genommen zu werden, sondern auch Beklagter von hochvolumigen, gebündelten Schadensersatzklagen zu werden, ist längst Realität. Dieses Risiko als Gegenargument für weitreichende Möglichkeiten von Massenklagen zu nennen, sollte endgültig ins Leere laufen.

  1. Aktueller Entwurf geht an der Praxis vorbei

Mit der Abhilfeklage bietet die Zivilprozessordnung nun ein weiteres Instrument für Massenklagen und tritt damit auch in Konkurrenz mit den sog. “no win, no fee-Modellen” der Legal Tech-Unternehmen. Entscheidend für den Erfolg der Abhilfeklage wird die Frage sein, inwieweit es den „qualifizierten Stellen“ als Initiatoren gelingen wird, Verbraucher zu bewegen, sich den Klagen anzuschließen. In diesem Zusammenhang sollte man nicht außer Acht lassen, dass die Legal Tech-Unternehmen, welche Sammelklagen gebündelt haben, aber auch die Legal Tech-Kanzleien, welche zehntausende (rechtsschutzversicherte oder prozessfinanzierte) Einzelklagen auf den Weg gebracht haben, sich einen großen Wissensvorsprung im Bereich Marketing und Technologie erarbeitet haben. Ob und wie schnell es Klägerverbänden gelingt – ohne nennenswertes Marketing-Budget ausreichend Aufmerksamkeit für einzelne Klagen – zu generieren, wird sich zeigen. Da der aktuelle Entwurf zudem keine kommerziellen Prozessfinanzierungsmodelle zulässt, dürfte eine der großen Herausforderungen werden, Geschädigte auf eine mögliche Klage aufmerksam zu machen. Politische – oder unentgeltlich – mediale Unterstützung dürften ausgeschlossen sein. Beispielsweise wäre ein Aufmerksammachen von VW-Geschädigten durch Kampagnen des BMJ oder Konkurrenzunternehmen nicht denkbar bzw. schlicht nicht erlaubt gewesen. Die einzig realistische Form der Unterstützung liegt damit bei der Berichterstattung durch unabhängige Medien. Diesen obliegt damit die Entscheidungsfreiheit, ob und über welche Themen sie berichten. Die damit nicht zu unterschätzende Machtposition der Medien sollte jedenfalls vorab durchdacht werden.

Ein weiteres Hemmnis für den Erfolg der Abhilfeklage in der hier vorgeschlagenen Form könnten die geringen (gesetzlich gedeckelten) Streitwerte sein, durch welche die Prozessbevollmächtigten der “Abhilfekläger” im Fall des Erfolges nur relativ geringe gesetzliche Gebühren gegenüber der Gegenseite abrechnen können. So können Rechtsdienstleister mit Abhilfeklagen wesentlich weniger Geld verdienen als mit bereits am Markt etablierten Modellen zur kollektiven Rechtsdurchsetzung.

Dabei wird eine Interessenvertretung auf Augenhöhe einen großen Einfluss auf die Erfolgsaussichten von Abhilfeklagen – und letztlich deren Ruf unter Verbrauchern – haben. Denn Legal Tech- Unternehmen und Kanzleien mit Schwerpunkt auf Massenverfahren ist es gelungen, den von der Unternehmerseite zumeist mandatierten Großkanzleien ebenbürtig gegenüberzutreten. Das bisherige “David gegen Goliath- Verhältnis” war damit erstmals obsolet. Ob sich derartig hochwertiges juristisches know how mit den geringen gesetzlichen Gebühren “einkaufen” lässt, ist leider fraglich.

Nicht nur an dieser Stelle bleibt der Referentenentwurf damit hinter der Marktentwicklung der letzten Jahre zurück. Es entsteht der Eindruck, dass sich nicht hinreichend mit den Regularien und faktischen Gegebenheiten des deutschen Rechtsmarkts auseinandergesetzt wurde. Gerne steht der Legal Tech Verband – als Vertreter aller Akteure am Legal Tech-Markt – hierfür zur Verfügung.

 

Zum vorliegenden Referentenentwurf nehmen wir im Detail wie folgt Stellung:

III. Aktivlegitimation

Klageberechtigt sollen nur sogenannte „qualifizierte Stellen“ sein. Gegenüber der bisherigen Musterfeststellungsklage müssen die klageberechtigten Stellen nicht mehr national sein, sondern können auch aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union stammen. Die qualifizierten Stellen müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllen, deren Vorliegen bei Verbraucherzentralen und anderen Verbraucherverbänden, die überwiegend mit öffentlichen Mitteln geförderten werden, gesetzlich vermutet werden. Ferner ist die Verbandsklage nur dann zulässig, wenn die klageberechtigte Stelle glaubhaft macht, dass die Ansprüche von mindestens 50 Verbrauchern von der Abhilfeklage bzw. der Musterfeststellungsklage betroffen sind. Verbrauchern sollen dabei kleine Unternehmen gleichgestellt werden, welche weniger als 50 Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz oder Jahresbilanz 10 Millionen Euro nicht übersteigt. Der Entwurf stellt damit an inländische Verbände höhere Ansprüche als an ausländische Kläger, was den Rechtsstandort Deutschland schwächen würde. Der Legal Tech Verband Deutschland spricht sich dafür aus, die Kriterien zwischen nationalen und internationalen Klägerverbänden vollumfänglich zu harmonisieren.

IV. Opt-in-Verfahren und Verjährungshemmung

Bisher ist im Referentenentwurf ein sog. “Opt-in-Verfahren” vorgesehen, bei welchem der Anspruchsinhaber sich der Klage also aktiv anschließen muss. Der Anspruch des Verbrauchers wird also gerade nicht automatisch wie bei einem Opt-out-Modell – ähnlich einer US-amerikanischen Class Action – erfasst. Nach dem Referentenentwurf muss ein Anschluss – wie bei der Musterfeststellungsklage – spätestens am Tag vor der ersten mündlichen Verhandlung erfolgen. Wie bei der Musterfeststellungsklage würde eine rechtzeitige Teilnahme (nur) dann die Verjährung des Anspruchs hemmen. Im Referentenentwurf hat sich damit der Vorschlag eines späteren Opt-in nicht durchgesetzt. Dieser würde in Verbindung mit einer umfassenden Verjährungshemmung ohne ein „rechtzeitiges“ Tätigwerden des Anspruchstellers zu einer erheblichen Erhöhung der potenziellen Haftungssumme des Klagegegners führen. Der Legal Tech Verband fordert, Verbrauchern einen Klagebeitritt auch noch zu einem späteren Zeitpunkt zu ermöglichen, selbst nach einem Vergleich oder einem Urteil.

V. Finanzierung

Verbandsklagen nach dem Referentenentwurf können auch von Dritten finanziert werden. Die Klage ist jedoch gem. § 4 Abs. 2 VDuG unzulässig, wenn der Dritte

  1. ein Wettbewerber des verklagten Unternehmers ist,
  2. vom verklagten Unternehmer abhängig ist oder
  3. zu erwarten ist, dass er die Prozessführung der klageberechtigten Stelle, einschließlich Entscheidungen über Vergleiche, zu Lasten der Verbraucher beeinflussen wird.

Drittmittel müssen gem. § 5 Abs. 1 Nr. 4 VDuG in der vom Verbraucherverband eingereichten Klageschrift offengelegt werden. Die Finanzierung einer Verbandsklage durch einen Dritten ist damit im Grundsatz möglich. Der Referentenentwurf enthält jedoch keine Regelungen zum Rechtsverhältnis zwischen dem finanzierenden Dritten und den an einer Verbandsklage beteiligten Verbrauchern. Während der Referentenentwurf für Gewinnabschöpfungsklagen nach § 10 UWG in § 10 Abs. 6 UWG-neu ausdrücklich vorsieht, dass kommerzielle Prozessfinanzierer einen Anteil des Klageerlöses erhalten dürfen, fehlt eine solche Regelung für Abhilfeklagen ganz.

Die klageberechtigte Stelle hat kein Recht über Gelder, welche den Anspruchsstellern zustehen, ohne deren Zustimmung zu verfügen. Infolgedessen müsste der Prozessfinanzierer mit jedem teilnehmenden Verbraucher eine Vereinbarung treffen, um einen Anteil an der jeweiligen Entschädigung zu erhalten. Für Verbraucher besteht jedoch kein wirtschaftlicher Anreiz, eine solche Vereinbarung zu schließen, da sie ihre Ansprüche kostenlos anmelden können und auch kein Kostenrisiko im Falle eines Unterliegens tragen. Daher ermöglicht der Entwurf des VDuG lediglich eine altruistische Form der Drittfinanzierung. Eine Basis für ein in der Finanzierung von Verbandsklagen liegendes Geschäftsmodell bietet der Entwurf dagegen nicht. Da die qualifizierten Stellen die Verbandsklagen nicht zum Zweck der Gewinnerzielung erheben dürfen, sind (zumindest kommerzielle) Prozessfinanzierungsmodelle ausgeschlossen. Der Legal Tech Verband fordert daher die Aufnahme einer Regelung, die es kommerziellen Prozessfinanzierern ermöglicht, einen Anteil des Klageerlöses zu erhalten.

VI. Das Umsetzungsverfahren

Das Umsetzungsverfahren wird im Abhilfe-Endurteil angeordnet. Das Gericht bestellt in der Folge einen Sachwalter, der einen Umsetzungsfonds errichtet. In den Umsetzungsfonds zahlt der Unternehmer den vorläufig festgesetzten Betrag der Kosten des Abhilfeverfahrens und ggf. den kollektiven Gesamtbetrag ein. Aufgabe des Sachwalters ist es insbesondere, die Anspruchsberechtigung der Verbraucher nach Maßgabe der Festsetzungen im Abhilfegrund oder -endurteil zu prüfen, und Ansprüche dementsprechend zu erfüllen oder abzulehnen. Unternehmer und Verbraucher können den Entscheidungen des Sachwalters gem. § 28 Abs. 2 VDuG innerhalb von zwei Wochen widersprechen. Die Entscheidung des Sachwalters über den Widerspruch ist gem. § 28 Abs. 3 VDuG unanfechtbar. Ein Verbraucher kann seinen Anspruch im Falle der Ablehnung durch den Sachwalter gem. § 39 VDuG im Wege der Individualklage geltend machen. Ebenso können Unternehmer gem. § 40 VDuG Einwendungen gegen einzelne Ansprüche klageweise geltend machen, die sie im Abhilfeverfahren nicht geltend machen konnten.

Wird mit einer auf Zahlung gerichteten Abhilfeklage nicht die Zahlung eines kollektiven Gesamtbetrags beantragt, hat der Sachwalter nach dem Referentenentwurf keine Möglichkeit, die Zahlungen selbst vorzunehmen oder den Unternehmer dazu zu veranlassen. § 27 Nr. 9 VDuG sieht zwar vor, dass der Sachwalter Zahlungsansprüche selbst erfüllt. Das ist ihm aber nur möglich, wenn der Unternehmer einen kollektiven Gesamtbetrag in den Umsetzungsfonds eingezahlt hat, weil der Umsetzungsfonds sonst gem. § 25 Abs. 1 VDuG nur den vorläufigen Kostenbetrag enthält. Auch § 29 VDuG sieht Zwangsmittel zur Vollstreckung von Aufforderungen des Sachwalters nur für Ansprüche vor, die nicht auf Zahlung gerichtet sind. Dem widerspricht, dass die Zahlung eines kollektiven Gesamtbetrags in § 14 Abs. 1 VDuG nicht zwingend vorgesehen ist. Der Legal Tech Verband Deutschland regt deshalb an, die relevanten Vorschriften dahingehend anzupassen, dass die Vollstreckung einzelner Zahlungsansprüche möglich ist, sofern nicht die Zahlung eines kollektiven Gesamtbetrags beantragt wurde.

VII. Kosten

  1. Streitwerte

Im Abhilfeverfahren und im Verfahren nach § 21 VDuG über die Erhöhung des kollektiven Gesamtbetrags bleibt es im Grundsatz bei den allgemeinen Kostentragungsregeln der §§ 91 ff. ZPO. Für die Berechnung der Gerichtskosten sieht der Referentenentwurf Sondervorschriften vor. Gem. 48 Abs. 1 S. 3 GKG-neu beträgt der Streitwert in Abhilfeverfahren maximal 500.000 EUR. Diese Obergrenze gilt nach dem Grundsatz des § 23 Abs. 1 S. 1 RVG auch für die Berechnung der Rechtsanwaltsgebühren. Dies stellt eine deutliche Unterschreitung des in § 39 Abs. 2 GKG und § 22 Abs. 2 S. 1 RVG vorgesehenen Höchstbetrags von 30.000.000 EUR dar.

Der Gesetzgeber sollte die Begrenzung des Streitwerts auf den Maximalwert von 500.000 EUR überdenken. Zumal die Begründung des Referentenentwurfs keinen sachlichen Grund für die Begrenzung des Streitwerts nennt, sondern lediglich darauf verweist, dass es bei Musterfeststellungsverfahren und Rechtsstreitigkeiten nach dem UKlaG eine Obergrenze von 250.000 EUR gebe. Im Zuge der Einführung der Musterfeststellungsklage wurde die Obergrenze im Gesetzesentwurf damit begründet, dass es sachgerecht sei, “vom Interesse der Allgemeinheit an den mit der Musterfeststellungsklage verfolgten Feststellungszielen auszugehen und nicht von der wirtschaftlichen Bedeutung für diejenigen, deren Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von den Feststellungszielen abhängen” (BT-Drs. 19/2439, S. 29). Bei der Einführung des Unterlassungsklagengesetzes wurde noch auf das Erfordernis verwiesen, klageberechtigte Stelle vor einem übermäßigen Prozesskostenrisiko zu schützen (BT-Drs. 7/5422, S. 13). Zwar besteht ein legitimes Interesse daran, Verbraucherverbände vor einer existenzgefährdenden Kostenlast zu schützen. Jedoch erscheint fraglich, ob allein dieser Umstand die dargelegten Nachteile auffängt.

Zu einem Umsetzungsverfahren kommt es, wie oben dargestellt, nur im Falle einer erfolgreichen Abhilfeklage, die zu einem Abhilfe-Endurteil gegen den Unternehmer geführt hat. Dem entspricht, dass der Unternehmer sodann gem. § 20 Abs. 2 VDuG die “Kosten des Umsetzungsverfahrens” i. S. d. VDuG trägt. Diese umfassen gem. § 20 Abs. 2 VDuG die Auslagen des Sachwalters und dessen Vergütung. Hinzu kommt gem. Nr. 1660 KV GKG-neu eine 1,0 Gerichtsgebühr, die der Unternehmer gem. § 26a GKG-neu ebenfalls als “Kosten des Umsetzungsverfahrens nach dem Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz” zu tragen hat. Gem. § 59a GKG-neu bestimmt sich die für das Umsetzungsverfahren anfallende Gebühr nach dem Gesamtwert der vom Umsetzungsverfahren erfassten Ansprüche. Anders als im Abhilfeverfahren selbst ist keine Begrenzung des Streitwerts auf 500.000 EUR mehr vorgesehen, was der Legal Tech Verband Deutschland ausdrücklich begrüßt. Missverständlich erscheint die unterschiedliche Bedeutung des Begriffs “Kosten” in § 20 Abs. 1 VDuG und § 26a GKG-neu. An dieser Stelle wäre eine Nachbesserung durch den Gesetzgeber wünschenswert.

  1. Verfahrensgebühr

Wenn Verbraucher oder Unternehmer für die Durchführung des Umsetzungsverfahrens einen Rechtsanwalt mandatieren, kann dieser gem. Nr. 3339 VV RVG-neu als Verfahrensgebühr eine 0,5-Gebühr verlangen. Diese bemisst sich gem. §§ 23c, 23 Abs. 3 S. 2 RVG-neu nach dem wirtschaftlichen Interesse des jeweiligen Gläubigers. Es ist nicht klar geregelt, wie oft die Verfahrensgebühr anfällt, wenn ein Rechtsanwalt auf Seite des Unternehmers tätig wird. Der Verweis auf das wirtschaftliche Interesse des jeweiligen Gläubigers in §§ 23c, 23 Abs. 3 S. 2 RVG-neu spricht für das sachgerechte Ergebnis, dass die Gebühr für jeden Gläubiger anfällt, in Bezug auf dessen Anspruch der Rechtsanwalt tätig wird und etwa einen Widerspruch gem. § 28 Abs. 2 VDuG einlegt. Auch an dieser Stelle wäre eine Klarstellung durch den Gesetzgeber zu begrüßen.

  1. Kosten- und haftungsrechtliche Fragen

Auffallend ist, dass der Referentenentwurf praxisrelevante kosten- und haftungsrechtliche Fragen unbeantwortet lässt. Aus dem Referentenentwurf geht nicht hervor, ob Verbraucher die für ihre Vertretung im Abhilfeverfahren gem. Nr. 2300 VV RVG i. V. m. § 19 Abs. 1 Nr. 1a RVG-neu und im Umsetzungsverfahren gem. Nr. 1660 VV RVG-neu anfallenden Geschäftsgebühren im Falle des Obsiegens der klageberechtigten Stelle (bspw. Verbraucherverband) vom Unternehmer ersetzt verlangen können. In diese Richtung deutet in Bezug auf das Umsetzungsverfahren die Regelung in § 26a GKG, nach der die Kosten des Umsetzungsverfahrens nach dem VDuG nur der im zugrunde liegenden Abhilfeverfahren verurteilte Unternehmer schuldet. Der Legal Tech Verband Deutschland würde an dieser Stelle eine klarstellende Regelung befürworten.

  1. Innenverhältnis ungeklärt

Darüber hinaus geht der Referentenentwurf nicht auf die Frage ein, ob und inwieweit zwischen dem klagenden Verbraucherverband und dessen Prozessbevollmächtigten auf der einen Seite und Verbrauchern, die sich dem Verfahren angeschlossen haben, auf der anderen Seite ein Schuldverhältnis besteht.

Diese Frage ist einerseits für die Haftung der klageberechtigten Stelle und deren anwaltlicher Vertretung von Bedeutung. Ohne eine eindeutige Regelung ist ein Streit – wie er bei der Musterfeststellungsklage bereits entfacht ist – darüber vorprogrammiert, inwieweit die klageberechtigte Stelle und deren Prozessbevollmächtigte gegenüber den Anspruchstellern zu einer gewissenhaften Prozessführung verpflichtet sind und bei Verletzung dieser Pflicht auf Schadensersatz haften. Andererseits wirkt sich das Bestehen eines Schuldverhältnisses auf die Frage aus, ob die Prozessbevollmächtigten des klagenden Verbraucherverbands von Verbrauchern, die ihre Ansprüche angemeldet haben, für die Durchführung des Abhilfeverfahrens und einen etwaigen geschlossenen Vergleich Gebühren verlangen können. So wird in Bezug auf die Musterfeststellungsklage mitunter eine Haftung der Verbraucher aus Geschäftsführung ohne Auftrag diskutiert.