Mehr Rechtssicherheit für Legal Tech-Unternehmen 

Das Geschäftsmodell der Legal Tech-Anbieter basiert häufig darauf, dass sie sich Ansprüche von Verbrauchern abtreten lassen und diese dann gebündelt einklagen. Ob solche Sammelklagen in Deutschland zulässig sind, war jedoch umstritten. Unternehmen haben vor Gericht immer wieder gegen die Zulässigkeit dieses Geschäftsmodells argumentiert. Nun hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil solche Sammelklagen auch in Hinblick auf eine massenhafte Bündelung von Ansprüchen umfassend für zulässig erklärt. 

 

Rechtssicherheit durch Sammelklagen

Am 13. Juni 2022 hatten die Richter am BGH die Rechtmäßigkeit der Diesel-Sammelklage von myRight bestätigt. Eingereicht wurde die Klage bereits 2018. Mehr als 37.000 Verbraucher aus mehreren Ländern hatten sich auf der Plattform des Rechtsdienstleisters registriert, um ihre Ansprüche aus dem VW-Abgasskandal gebündelt durchsetzen zu lassen. Im Mai 2020 entschied der BGH, dass diese Verbraucher Anspruch auf Schadensersatz haben. Anschließend verhandelte VW mit mehr als 50.000 Einzelklägern und entschädigte auch mehrere Teilnehmer der myRight-Sammelklage im Rahmen einer außergerichtlichen Einigung. Den restlichen Sammelklägern hat der BGH mit seiner Entscheidung nun Rechtssicherheit verschafft. Laut BGH ist es nach deutschem Recht erlaubt, sich massenhaft Schadensersatzansprüche gegen VW wegen des Abgasskandals abtreten zu lassen um sie dann mittels Sammelklage geltend zu machen. 

 

Interessant für die “Inkasso-Sammelkläger” sind vor allem die folgenden Ausführungen des BGH in den Entscheidungsgründen:

 

“Das Geschäftsmodell der Klägerin, sich massenhaft Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte wegen der in den Motor des Typs EA 189 implementierten Software treuhänderisch abtreten zu lassen und diese sodann – nach einer erfolglosen außergerichtlichen Verfolgung – in einer „Sammelklage“ gemäß § 260 ZPO gegen die Beklagte geltend zu machen, ist von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG unzweifelhaft umfasst und erlaubt, sofern die Schadensersatzansprüche dem deutschen Recht unterliegen und die Voraussetzungen des § 4 RDG aF nicht gegeben sind. 

Der Inkassobegriff der § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG, § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG aF schließt Geschäftsmodelle ein, die ausschließlich oder vorrangig auf eine gerichtliche Einziehung von Forderungen im Wege des sogenannten „Sammelklage-Inkasso“ abzielen”(vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – II ZR 84/20, BGHZ 230, 255 Rn. 16).

 

Weder dem Wortlaut noch der Systematik der § 1 Abs. 1 Satz 1, § 3 RDG lässt sich ein Ausschluss eines solchen Geschäftsmodells entnehmen.

 (…)

 

In dem Geschäftsmodell der Klägerin liegt (…) keine Zweckentfremdung der Inkassoerlaubnis, weil die Klägerin zur Einziehung bestrittener Forderungen und zur Prüfung dieser Forderungen verpflichtet ist. Die Vorschriften der § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG aF, § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG gestatten Inkassodienstleistern eine umfassende rechtliche Prüfung der einzuziehenden Forderungen, wie das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof bereits zum Rechtsberatungsgesetz entschieden haben (BVerfG, NJW 2002, 1190, 1191 f.; NJW-RR 2004, 1570, 1571; BGH, Urteil vom 14. November 2006 – XI ZR 294/05, BGHZ 170, 18 Rn. 27). Dem sind der Gesetzgeber (vgl. BT-Drucks. 16/3655, S. 27) und der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 27. November 2019 – VIII ZR 285/18, BGHZ 224, 89 Rn. 141, 144) für das Rechtsdienstleistungsgesetz gefolgt.”

 

Der Legal Tech Verband begrüßt diesen Kurs, denn er schafft mehr Rechtssicherheit für Legal Tech-Geschäftsmodelle. Sammelklagen geben Verbrauchern überhaupt erst die Möglichkeit, ein wirtschaftliches Gegengewicht zu Konzernen darzustellen. Durch dieses Geschäftsmodell machen viele Verbraucher ihre Ansprüche überhaupt erst geltend. Die zeitliche wie auch finanzielle Hürde ist oft zu hoch, um sich anwaltlich beraten zu lassen und einen Anspruch durchzusetzen. Diese Geschäftsmodelle schaffen somit einen einfacheren und besseren Zugang zum Recht. Sie können aber nur weiterentwickelt und verbessert werden, wenn für sie Rechtssicherheit herrscht.  Für die Zukunft ist klar. Sammelklagen bleiben und werden stetig mehr werden. Es gibt noch viele weitere Rechtsbereiche, in denen Legal Tech-Geschäftsmodelle funktionieren und vorangetrieben werden. Die Gerichte müssen sich also vermehrt auf Sammelklagen einstellen. Das erfordert einen gewissen Grad an Digitalisierung. Ob die Gerichte diesen leisten können, ist aktuell fraglich.