ABHILFEKLAGE GEHT AN PRAXIS VORBEI

Der Referentenentwurf[1] des Bundesjustizministeriums führt zu Recht ein unmittelbar durchsetzbares Verfahren für ein Massenverfahren ein und geht damit einen Schritt weiter als die aktuelle Musterfeststellungsklage. Allerdings bleibt die Umsetzung hinter der deutschen Marktentwicklung der letzten Jahre zurück. Gerade mit Blick auf den Kreis der Antragsteller und der Finanzierungsinstrumente, fällt der Entwurf insgesamt zu zaghaft aus.

 

NEUE KLAGEART LÄUFT PRAKTISCH INS LEERE

Der Gesetzgeber schafft mit der neuen Abhilfeklage künftig eine weitere Möglichkeit für gebündelte Klagen. Ihr Erfolg wird sich darin messen lassen, wie häufig die neue Klageart in der Praxis tatsächlich zur Anwendung kommt. Dies wird maßgeblich davon abhängen, inwieweit es den „qualifizierten Stellen“ als Initiatoren gelingt, Verbraucher:innen zu bewegen, sich den Klagen anzuschließen. Der aktuelle Entwurf sieht allerdings keine kommerziellen Prozessfinanzierungsmodelle vor. In der Praxis könnte es häufig am hinreichenden Budget der Initiatoren fehlen, um überhaupt auf die Abhilfeklage aufmerksam zu machen. Dass dies aber unerlässlich ist für den Erfolg von Massenklagen, zeigt ein Blick auf die sog. “no win, no fee-Modelle” der Legal Tech-Unternehmen und Kanzleien.  Diese bringen regelmäßig tausende von gebündelten Einzelklagen auf den Weg und haben sich so einen großen Wissensvorsprung im Bereich Marketing und Technologien erarbeitet. „Ohne nennenswerte Finanzierungsinstrumente wird es den Klageverbänden schwer fallen, genug Aufmerksamkeit für einzelne Klagen zu generieren und die Klageart damit ins Leere laufen”, erläutert Dr. Philipp Plog, Vorstandsvorsitzer des Legal Tech Verband Deutschland. Die Zulässigkeit einer Drittfinanzierung durch kommerzielle Prozessfinanzierer ist notwendig, um auf dem Legal Tech-Markt eine echte Alternative für Verbraucher:innen zu schaffen.

DEUTSCHLAND ZU ZÖGERLICH IN DER UMSETZUNG

Die Umsetzung der Verbandsklagen-Richtlinie der EU fällt im aktuellen Entwurf sehr vorsichtig aus.  So stellt das im Entwurf vorgesehene Opt-in-Verfahren auf einen recht frühen Zeitpunkt zum Klagebeitritt ab. Möchte der Gesetzgeber den Zugang zum Recht tatsächlich verbessern, sollte ein Klagebeitritt auch noch nach einem Vergleich oder Urteil möglich sein. „Sinn und Zweck der Abhilfeklage ist doch gerade, den Zugang zum Recht für Verbraucher:innen zu verbessern. Je später ein Klagebeitritt noch möglich, desto mehr Menschen werden sich der Klage auch anschließen”, erläutert Dr. Philipp Hammerich, Vorstandsmitglied des Legal Tech Verbands und ein maßgeblicher Autor der Stellungnahme. Auch ein Blick in Nachbarländer wie Österreich oder Niederlande zeigt, dass Deutschland mit seiner Umsetzung  mehr Gestaltungsspielrum nutzen sollte.  So stellt der Entwurf in Bezug auf die Aktivlegitimation an inländische Verbände höhere Ansprüche als an ausländische Kläger, was den Rechtsstandort Deutschland schwächen wird. Eine Harmonisierung ist daher unbedingt wünschenswert.

Weitere Informationen lesen Sie in unserer ausführlichen Stellungnahme unter: https://www.legaltechverband.de/aktivitaeten/referentenentwurf-zur-umsetzung-der-abhilfeklage-in-deutschland-geht-an-der-praxis-vorbei/

 

Über den Legal Tech Verband Deutschland

Der im Jahr 2020 gegründete Legal Tech Verband Deutschland e.V. steht für Digitalisierung und Innovation des deutschen Rechtsmarktes und vertritt dabei als einziger Verband alle Marktakteure. Zu seinen Mitgliedern zählen zum Beispiel Kanzleien, Unternehmen, Rechtsschutzversicherer, Softwareanbieter und Legal Tech Startups. Der Verband setzt sich für einen innovationsfreundlichen Rechtsrahmen, Rechtssicherheit und die Förderung von Investitionen in Legal Tech ein, um so die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Rechtsmarktes sicherzustellen.

[1] Grundlage des Referentenentwurfs ist die Ende 2020 in Kraft getretene Verbandsklagen-Richtlinie der EU (RL (EU) 2020/1828), welche der deutsche Gesetzgeber bis zum 25. Dezember 2022 in nationales Recht umsetzen muss. Die Richtlinie sieht vor, dass die Verbandsklage auf Abhilfe spätestens ab dem 25. Juni 2023 in Deutschland praktisch möglich sein muss. Der entsprechende Referentenentwurf des BMJ wurde am 16.02.2023 veröffentlicht, vgl.: Link RefE.